Mein Sohn Chol: Vom Patienten zum Botschafter
Das Wasser fällt in dicken Bindfäden vom Himmel. Ich weiß, dass der Regen die nächsten vier Monate nicht aufhören wird. Es ist Regenzeit. Das Gras wächst jetzt schnell und wird bald hüfthoch sein, während die Straße, die zu unserem Dorf führt, im Wasser verschwinden wird.
Unser Dorf ist durch einen Fluss und zwei Sümpfe von Wasser umgeben. Es ist so klein, dass es hier kein Krankenhaus oder auch nur einen Gesundheitsposten gibt. Wir leben von Landwirtschaft und Fischfang. Wenn die Sümpfe und der Fluss über ihre Ufer treten, wird unser Leben schwer. Zum einen, weil die Fläche nutzbaren Ackerlands dann sehr klein wird und zum anderen weil auch die Schlangen vor dem Wasser fliehen und zu uns aufs Trockene kommen.
Das Unglück in der Nacht
Wir haben gerade zu Abend gegessen, es ist bereits dunkel und wir machen uns bereit fürs Bett, da höre ich meinen Sohn Chol schreien. Eine Schlange ist unbemerkt in unser Haus gelangt und war unter seiner Schlafmatte, alle er sich hinlegte, wurde sie aufgescheucht und biss ihn.
Ich zögere keine Sekunde, greife die Schlange, töte sie und mache dann mit einer Rasierklinge einen Schnitt in die Bissstelle an seinem Bein. Ich habe gehört, dass man so das Gift besser herausholen kann. Chol weint als er sieht, wie die Bissstelle mit den zwei Löchern der Schlangenzähne anschwillt. Es schmerzt und er bekommt Angst, dass er nicht mehr laufen kann.
Professionelle Behandlung im Krankenhaus
Nach vier Tagen ist noch immer keine Besserung zu beobachten. Ich spreche mit einem Nachbarn, der mir rät, meinen Sohn ins Krankenhaus zu bringen. Einige Jugendliche aus dem Dorf kommen und helfen uns, ihn zur Hauptstraße zu tragen. Dort warten wir vier Stunden, bis uns ein Auto für viel Geld ins nächstgelegene Krankenhaus bringen kann.
Im Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in Abyei wird Chol direkt stationär aufgenommen. Er bleibt insgesamt drei Wochen dort, wird umfassend gegen das Schlangengift behandelt und mehrfach operiert.
Als es ihm langsam besser geht, bin ich sehr erleichtert und den Ärzt*innen ungemein dankbar. Hätte ich noch länger gezögert ihn ins Krankenhaus zu bringen, wäre das wahrscheinlich nicht so gut ausgegangen.
Wir werden schließlich entlassen - Chol muss noch einige Zeit Medikamente nehmen und wir müssen in einer Woche wiederkommen, für die Kontrolluntersuchung. Man erklärt uns, dass die Nachuntersuchung sehr wichtig ist - dadurch, dass wir nicht gleich nach dem Biss ins Krankenhaus gekommen sind, war die Behandlung komplexer und die Ärzt*innen müssen jetzt sicherstellen, dass alles gut verheilt.
Ich bin sehr glücklich, dass es hier in der Gegend eine Behandlung gegen die Vergiftung durch das Schlangengift gibt, die Behandlung gut verlaufen und mein Sohn wieder gesund ist. Wieder Zuhause bedanken wir uns bei allen, die uns geholfen haben, und Chol berichtet aufgeregt, was er erlebt und gelernt hat: Wie wichtig es ist, bei einem Schlangenbiss direkt ins Krankenhaus zu fahren.
Wissen teilen und damit vorbeugen
Wir setzen uns seither für die Prävention von Vergiftungen durch Schlangenbisse ein. Besonders Chol nutzt seine Erfahrung: “Bringt die gebissene Person so schnell es geht in ein Krankenhaus, dann hat sie die besten Chancen auf Heilung” erklärt er immer wieder. Zu Beginn der Regenzeit erinnern wir die Gemeindemitglieder außerdem daran, das hochgewachsene Gras in der Umgebung zu entfernen, damit sich die Schlangen nicht darin verstecken können. Und es wird darauf geachtet, dass alle Gummistiefel tragen, um sich vor Schlangenbissen zu schützen. Außerdem raten wir allen, wenn möglich, nicht auf dem Boden zu schlafen, weil Schlangen sich dort leicht verstecken können.