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Mein Sohn Chol: Vom Patienten zum Botschafter

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Das Logo von Ärzte ohne Grenzen

Deng

Ich bin Landwirt und lebe mit meiner Frau und unseren vier Kindern in einem Dorf in der Region Abyei im Südsudan. Das Wichtigste für mich ist, dass meine Kinder gesund und glücklich sind.

Das Wasser fällt in dicken Bindfäden vom Himmel. Ich weiß, dass der Regen die nächsten vier Monate nicht aufhören wird. Es ist Regenzeit. Das Gras wächst jetzt schnell und wird bald hüfthoch sein, während die Straße, die zu unserem Dorf führt, im Wasser verschwinden wird. 

Unser Dorf ist durch einen Fluss und zwei Sümpfe von Wasser umgeben. Es ist so klein, dass es hier kein Krankenhaus oder auch nur einen Gesundheitsposten gibt. Wir leben von Landwirtschaft und Fischfang. Wenn die Sümpfe und der Fluss über ihre Ufer treten, wird unser Leben schwer. Zum einen, weil die Fläche nutzbaren Ackerlands dann sehr klein wird und zum anderen weil auch die Schlangen vor dem Wasser fliehen und zu uns aufs Trockene kommen. 

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Der steigende Wasserspiegel treibt die Schlangen an Land.
Überschwemmungen im Südsudan sind in der Regenzeit üblich.
© Samir Bol

Das Unglück in der Nacht

Wir haben gerade zu Abend gegessen, es ist bereits dunkel und wir machen uns bereit fürs Bett, da höre ich meinen Sohn Chol schreien. Eine Schlange ist unbemerkt in unser Haus gelangt und war unter seiner Schlafmatte, alle er sich hinlegte, wurde sie aufgescheucht und biss ihn. 

Ich zögere keine Sekunde, greife die Schlange, töte sie und mache dann mit einer Rasierklinge einen Schnitt in die Bissstelle an seinem Bein. Ich habe gehört, dass man so das Gift besser herausholen kann. Chol weint als er sieht, wie die Bissstelle mit den zwei Löchern der Schlangenzähne anschwillt. Es schmerzt und er bekommt Angst, dass er nicht mehr laufen kann. 

Professionelle Behandlung im Krankenhaus

Nach vier Tagen ist noch immer keine Besserung zu beobachten. Ich spreche mit einem Nachbarn, der mir rät, meinen Sohn ins Krankenhaus zu bringen. Einige Jugendliche aus dem Dorf kommen und helfen uns, ihn zur Hauptstraße zu tragen. Dort warten wir vier Stunden, bis uns ein Auto für viel Geld ins nächstgelegene Krankenhaus bringen kann. 

Im Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in Abyei wird Chol direkt stationär aufgenommen. Er bleibt insgesamt drei Wochen dort, wird umfassend gegen das Schlangengift behandelt und mehrfach operiert. 

Als es ihm langsam besser geht, bin ich sehr erleichtert und den Ärzt*innen ungemein dankbar. Hätte ich noch länger gezögert ihn ins Krankenhaus zu bringen, wäre das wahrscheinlich nicht so gut ausgegangen. 

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Autos von Ärzte ohne Grenzen vor dem Ameth-Bek Krankenhaus in Abyei.
Im Ameth-Bek Krankenhaus in Abyei unterstützten die Teams von Ärzte ohne Grenzen die medizinischen Aktivitäten.
© Christina Simons

Wir werden schließlich entlassen - Chol muss noch einige Zeit Medikamente nehmen und wir müssen in einer Woche wiederkommen, für die Kontrolluntersuchung. Man erklärt uns, dass die Nachuntersuchung sehr wichtig ist - dadurch, dass wir nicht gleich nach dem Biss ins Krankenhaus gekommen sind, war die Behandlung komplexer und die Ärzt*innen müssen jetzt sicherstellen, dass alles gut verheilt. 

Ich bin sehr glücklich, dass es hier in der Gegend eine Behandlung gegen die Vergiftung durch das Schlangengift gibt, die Behandlung gut verlaufen und mein Sohn wieder gesund ist. Wieder Zuhause bedanken wir uns bei allen, die uns geholfen haben, und Chol berichtet aufgeregt, was er erlebt und gelernt hat: Wie wichtig es ist, bei einem Schlangenbiss direkt ins Krankenhaus zu fahren. 

Wissen teilen und damit vorbeugen

Wir setzen uns seither für die Prävention von Vergiftungen durch Schlangenbisse ein. Besonders Chol nutzt seine Erfahrung: “Bringt die gebissene Person so schnell es geht in ein Krankenhaus, dann hat sie die besten Chancen auf Heilung” erklärt er immer wieder. Zu Beginn der Regenzeit erinnern wir die Gemeindemitglieder außerdem daran, das hochgewachsene Gras in der Umgebung zu entfernen, damit sich die Schlangen nicht darin verstecken können. Und es wird darauf geachtet, dass alle Gummistiefel tragen, um sich vor Schlangenbissen zu schützen. Außerdem raten wir allen, wenn möglich, nicht auf dem Boden zu schlafen, weil Schlangen sich dort leicht verstecken können.

Jedes Jahr erkranken weltweit 2,7 Millionen Menschen an den Folgen eines Schlangenbisses (WHO). Bei bis zu 138.000 Menschen führt die Vergiftung durch den Biss jedes Jahr zum Tod und bei weiteren 400.000 zu lebenslangen Einschränkungen.  

Im Südsudan waren die Menschen in den beiden Regionen Warrap State und im Sonderverwaltungsgebiet Abyei (ASAA) besonders stark von Schlangenbissen betroffen. Unsere medizinischen Teams behandeln Schlangenbisse im Südsudan schnellstmöglich mit geeigneten Gegengiften, sogenannten Antiveninen, und zusätzlichen medizinischen Maßnahmen. Außerdem klären sie über Präventionsmöglichkeiten auf, die das Risiko eines Schlangenbisses im direkten Wohn- und Arbeitsumfeld der betroffenen Bevölkerungsgruppen minimieren. Und unsere politischen Referentinnen setzen sich politisch dafür ein, dass in die Entwicklung von Antiveninen stärker investiert wird sowie für eine faire, regulierte und bezahlbare Produktion und Verteilung von Gegengiften. Mehr zu diesem Aspekt unserer Arbeit finden Sie hier.