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Türkei: „Adiyaman ist jetzt eine Geisterstadt"

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Profilfoto Logistikkoordinator Ricardo Martínez

Ricardo Martínez

Ich bin Koordinator für Logistik.

Ich bin kurz nach den Erdbeben in den Süden der Türkei gereist, als Teil des ersten Notfallteams, das Ärzte ohne Grenzen aus Spanien ins Katastrophengebiet entsandt hat. Anders als in Syrien, wo wir seit Beginn des Krieges vor vielen Jahren tätig sind, hatten wir in der Türkei keine bestehenden Aktivitäten in dem betroffenen Gebiet.

Wie können wir effektiv helfen?

In solchen Situationen ermitteln wir als erstes die Orte, an denen die Hilfe am wenigsten ankommt, und schätzen die Bedürfnisse der Menschen ein. Außerdem setzen wir uns mit den örtlichen Behörden und Organisationen in Verbindung, um herauszufinden, wie wir mit unserer Unterstützung einen Mehrwert schaffen können.

Einer dieser schwer getroffenen und vernachlässigten Orte ist die Stadt Adiyaman. Mein Team machte sich dorthin auf den Weg. Die direkte Straße vom nächstgelegenen Flughafen war durch die Erdbeben beschädigt worden, sodass wir einen großen Umweg fahren mussten.

Erschütternde Bilder

Der erste Eindruck war erschütternd: Vor der Katastrophe hatte die Stadt fast 300.000 Einwohner*innen, jetzt arbeiteten die Such- und Rettungsteams ununterbrochen, um Überlebende zu finden. Ich sah viele Menschen, die neben eingestürzten Gebäuden warteten, in der Hoffnung, ihre Angehörigen würden lebend gefunden werden oder zumindest ihre Leichen würden geborgen, damit sie ein würdiges Begräbnis erhalten konnten und nicht in ein Massengrab gebracht wurden.

In Adiyaman wurden Hunderte und Aberhunderte von Gebäuden komplett zerstört. Und viele der verbleibenden Gebäude weisen Risse und andere Schäden auf. Bulldozer tragen Tonnen von Schutt ab. Die Behörden sind dabei, die noch stehenden Gebäude zu inspizieren. Die Menschen haben große Angst, in ihre Häuser zurückzukehren, da es immer noch von Zeit zu Zeit Nachbeben gibt, sodass derzeit niemand in seinem Haus bleibt.

Adiyaman ist jetzt eine Geisterstadt. Es gibt kaum Leben: Nur wenige Tankstellen sind geöffnet, Banken, Geschäfte und fast alle Läden sind geschlossen.

Überleben in Zelten bei eisigen Temperaturen

Es sind kleine und große Camps für obdachlos gewordene Menschen auf offenem Gelände entstanden – in Sportstadien, auf Plätzen, mitten auf der Straße. In fast jeder Ecke der Stadt stehen Zelte: weit weg von Gebäuden, aber nicht zu weit weg von den Häusern der Überlebenden entfernt. Viele Menschen schlafen in ihren Autos, um sich vor der Kälte zu schützen. Wir befinden uns mitten im Winter und die Temperaturen können hier nachts bis zu 10 Grad unter Null erreichen.

Ein Teil der Stadtbevölkerung, vor allem die wirtschaftlich besser Gestellten, hat sich mit dem Auto auf den Weg gemacht; die Regierung hat auch die Reise mit Bussen, Flugzeugen und Zügen aus den betroffenen Städten in Orte wie Istanbul, Ankara und Antalya erleichtert. Viele andere Menschen sind in die ländlichen Gebiete rund um die Städte gezogen. Dort sind die Zerstörungen zwar geringer, aber auch dort brauchen die Menschen wegen des großen Zuzugs humanitäre Hilfe. In den Dörfern und Kleinstädten leben oft 20 oder 30 Menschen in Häusern mit nur wenigen Zimmern.

In Adiyaman erscheint uns die angebotene Hilfe im Vergleich zum Ausmaß der Situation weiterhin gering. Dringend benötigt werden hier Unterkünfte, Latrinen, Duschen, Wasser, Heizungsanlagen, Winterkleidung, Generatoren, Decken, Hygieneartikel und Reinigungsmittel.

Die Menschen sind traurig und verzweifelt, sie haben Angst und sind unsicher, was die Zukunft bringt. Viele machen das Erlebte im Geiste noch einmal durch und glauben, dass es sich wiederholen könnte. 

Wir müssen bei unserer Hilfe flexibel sein

Da wir in der Türkei nicht registriert sind, arbeiten wir mit verschiedenen Hilfsorganisationen und lokalen zivilgesellschaftlichen Gruppen zusammen, um die am dringendsten benötigte Unterstützung zu leisten. Diese Unterstützung hat bisher u.a. Spenden von Hilfsgütern, den Transport von Menschen zu mobilen Kliniken am Stadtrand von Adiyaman und die Energieversorgung in zwei Vertriebenencamps umfasst. 

Wir hoffen in Kürze mit unseren Partnern psychologische Unterstützung anbieten zu können, dieser Bereich erscheint uns aufgrund des Leids, das die Menschen erfahren haben, sehr wichtig.  Angesichts des Ausmaßes der Katastrophe und der sich rasch verändernden Situation bleiben wir flexibel. Ich hoffe, dass wir noch viel mehr tun und unsere Erfahrung aus anderen Notsituationen einbringen können. 

Zur aktuellen Situation nach dem Erdbeben in Syrien und der Türkei

Nach der schweren Erdbebenserie am 6. Februar 2023 leisten unsere Teams in der Region schnellstmöglich medizinische Nothilfe.