Vorbereitet sein auf die nächste Pandemie
Pandemien und großflächige Krankheitsausbrüche können Millionen Menschenleben fordern und Gesundheitssysteme an ihre Grenzen bringen. Deshalb ist es sinnvoll und notwendig länderübergreifend Systeme und Regeln zu entwerfen, die in der nächsten Pandemie die Zusammenarbeit garantieren und damit Leben retten.
Unsere Forderungen
Wandel statt Wohlfahrt
Die Initiativen zur Prävention, Vorbereitung und Bekämpfung von Pandemien und die Verhandlungen um den Pandemievertrag sollten transparent und inklusiv gestaltet sein. Das heißt, Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen müssen gleichberechtigt an den Entscheidungsfindungsprozessen beteiligt sein und gehört werden.
Gleichzeitig muss anerkannt werden, dass zwar alle Regierungen gemeinsam dafür verantwortlich sind, sich auf globale Gesundheitsnotfälle vorzubereiten und darauf zu reagieren, es aber große Unterschiede in der Wirtschaftskraft, den Fähigkeiten und Ressourcen der einzelnen Länder gibt. Diese Unterschiede sollten bei der Bestimmung der Art und des Umfangs der Verantwortung, die einer bestimmten Regierung zugewiesen wird, angemessen berücksichtigt werden. Der Grundsatz der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung (CBDR), der erstmals im Zusammenhang mit dem Klimawandel aufgestellt wurde, ist eine praktikable Option, um dieses Problem anzugehen.
Die differenzierten Verantwortlichkeiten sollten durch verbindliche Verpflichtungen in mehreren Bereichen operationalisiert werden: Finanzierung, Technologietransfer, Aufbau und Verbesserung lokaler und regionaler Kapazitäten in Forschung und Entwicklung sowie Produktion und Lieferung von medizinischen Produkten.
Geistige Eigentumsrechte flexibel handhaben & Technologietransfer ermöglichen.
Die Regeln des geistigen Eigentums behindern den gerechten Zugang zu wichtigen medizinischen Produkten – das haben wir bei der Bekämpfung von HIV, Tuberkulose, Ebola oder Covid-19 erlebt.
Patente schaffen Monopole, die die Bereitstellung medizinischer Produkte durch zusätzliche Anbieter verzögern, einschränken oder gänzlich verbieten, die Produktion geografisch einschränken und hohe Preise ermöglichen, die den Zugang weiter erschweren.
Für den Pandemiefall sollte deshalb eine zeitlich begrenzte Ausnahmeregelung auf globaler Ebene eingeführt werden. Damit hätten Regierungen rechtlich die Möglichkeiten, die Verwendung relevanter Formen des geistigen Eigentums auf alle medizinischen Produkte zu beschränken, die zur Bekämpfung der Pandemie benötigt werden.
Außerhalb von Pandemie-Situationen, aber als integraler Bestandteil von Bereitschaftsstrategien und zum Zweck der Gewährleistung von nachhaltiger Gerechtigkeit sollten die Regierungen dafür sorgen, dass Technologietransfer stattfindet und eine Finanzierung und Unterstützung geografisch diverser und unabhängiger Produktionskapazitäten erfolgt.
Bedingungen an Forschungsgelder knüpfen.
Die Forschung und Entwicklung von medizinischen Gütern werden zu großen Teilen mit öffentlichen Geldern finanziert. Und häufig werden klinische Studien mit Patient*innen in Ländern mit mittlerem oder niedrigem Einkommen durchgeführt.
Daher sollten Regierungen konkrete und durchsetzbare Bedingungen stellen, wenn sie Forschung und Entwicklung von medizinischen Gütern, einschließlich klinischer Versuche, unterstützen oder (mit-)finanzieren.
Bedingungen, die den gerechten Zugang zu den Endprodukten fördern würden, sind u.a.:
- Der Preis für das Produkt wird transparent gestaltet und muss bezahlbar sein (z.B. "Warenwert plus Marge X" oder "kein Gewinn - kein Verlust"-Modelle).
- Die Lizenz für das Produkt ist nicht-exklusiv und es erfolgt ein Technologietransfer, sodass mehr als ein Hersteller produzieren darf und kein Marktmonopol entsteht.
- Die Einbehaltung von Rechten durch Geldgeber, die mit der Forschung verbunden sind, für den Fall, dass das Angebot des Herstellers die Nachfrage nicht rechtzeitig deckt oder nicht zu einem angemessenen Preis erfolgt.
- Pläne, wie wem wann der Zugang zum Produkt ermöglicht wird und spezifische Indikatoren, für die Registrierung und Bereitstellung von Arzneimitteln, Impfstoffen oder Diagnostika, insbesondere dort, wo klinische Studien durchgeführt werden.
- Rechtzeitiger Zugang zu Vergleichsarzneimitteln, Tests, Untersuchungen oder Impfstoffen, die für Vergleichsstudien, behördliche Genehmigungen und/oder Forschung und Entwicklung benötigt werden.
- Investitionen in den Aufbau geografisch diverser und unabhängiger Forschungskapazitäten.
Transparenz und Zugang zu Informationen gewährleisten.
Die Gewährleistung von Transparenz ist ein wesentlicher erster Schritt zur Erreichung von Verantwortlichkeit und Gerechtigkeit beim Zugang zu medizinischen Produkten, auch im Rahmen der PPR. Damit könnte sichergestellt werden, dass der Preis für ein medizinisches Gut gerechtfertigt und realistisch ist.
Regierungen können und sollten verbindliche Verpflichtungen festlegen und können sich dabei an internationalen Normen orientieren, wie den medizinischen Ethikrichtlinien, Menschenrechte sowie einschlägigen Resolutionen der WHA. Außerdem sollten Doktrinen, Ausnahmen und Beschränkungen bezüglich des öffentlichen Interesses in nationalen Gesetzen gestärkt werden. Damit würden Regierungen bei der Ablehnung von Ansprüchen auf Geheimhaltung und Vertraulichkeit wichtiger Informationen aufgrund kommerzieller Interessen rechtlich unterstützt.
Zu den Schlüsselinformationen, die den Transparenzregeln unterliegen und rechtzeitig öffentlich zugänglich sein sollten, gehören:
- Daten und Kosten klinischer Studien, Nettopreise medizinischer Produkte, Berichte über Verkaufserlöse, verkaufte Einheiten, Marketingkosten, Subventionen und Anreize, Informationen zum Patentstatus und zur Marktzulassung
- Vollständige Forschungs- und Entwicklungskosten, einschließlich aufgeschlüsselter Kosten für klinische Versuche.
- Vollständige Vertragsbedingungen von F&E-Finanzierungs-, Liefer- und Kaufvereinbarungen.
- Vereinbarungen über Lizenzen, Unterlizenzen und Technologietransfer in Bezug auf geistiges Eigentum.
- Produktionskosten.
- Informationen zu Lieferkapazitäten, Prognosen und Lieferplänen.
- Informationen zur Versorgung, Lagerverwaltung, Zuteilung und Koordination.
Globale Vorratshaltung & Zuteilung für humanitären Bedarf.
Die strategische Bevorratung wichtiger medizinischer Produkte ist eine gängige Strategie zur Vorbereitung auf Notfälle und kann auf nationaler, regionaler oder globaler Ebene eingerichtet werden. Gut angelegte und verwaltete Vorräte können in Notfällen eine rasche Bereitstellung und Zuteilung lebensrettender medizinischer Produkte gewährleisten. Wenn jedoch die Entscheidungen und Praktiken zur Bevorratung nicht koordiniert oder klar geregelt sind, haben Regierungen mit mehr Ressourcen einen klaren Vorteil. Denn ihnen ist es möglich, eine unverhältnismäßig große Menge an Vorräten zu erwerben, während der Bedarf anderer Regierungen nicht gedeckt wird.
Diese Dynamik war bei den Vorräten für Behandlungen von Ebola zu beobachten und könnte sich in Zukunft wiederholen, wenn man bedenkt, wie viel in die Forschung und Entwicklung von medizinischen Produkten für Krankheitserreger mit Pandemiepotenzial investiert wird und dass es keine klaren Regeln gibt, um einen Teil der Endprodukte dieser Forschungs- und Entwicklungsarbeit für die globale strategische Bevorratung zu reservieren.
Daher müssen im Rahmen der Verhandlungen und Initiativen um Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion verbindliche Mechanismen entwickelt und vereinbart werden, um die nationalen und regionalen Bemühungen zur Bevorratung zu koordinieren, damit sowohl die Versorgung mit globalen strategischen Vorräten gewährleistet ist als auch der aktuelle Bedarf in bestimmten Ausbruchsgebieten gedeckt werden kann.
Häufig werden die Gesundheitsbedürfnisse in humanitären Kontexten während globaler Notsituationen als die "letzte Meile" betrachtet. Es ist erforderlich, im Rahmen globaler Mechanismen ausdrücklich Vorräte für humanitäre Zwecke zu reservieren und sicherzustellen, dass diese Vorräte für humanitäre Organisationen leicht und schnell zugänglich sind.
Nachhaltige PPR rettet Menschenleben
PPR steht für "pandemic prevention, preparedness and reaction", zu Deutsch "Pandemieprävention, -vorsorge und -bekämpfung". Sie umfasst eine Vielzahl von Bereichen, die idealerweise miteinander koordiniert werden: Krisenmanagement, Ressourcen, Gesundheitspersonal, Gesundheitskommunikation, Forschungsvernetzung und -entwicklung sowie Produktion.
Vor dem Hintergrund der großen globalen Ungleichheit erfordert nachhaltige PPR letztlich eine Änderung der bestehenden Strukturen und Systeme.
Unsere Teams haben während der Covid-19-Pandemie hautnah miterlebt, was es bedeutet wenn medizinische Güter ungleich verteilt sind: In Indien oder Malawi starben Menschen, weil es nicht genug Sauerstoff gab. In Südafrika mussten Patient*innen ohne Schutzkleidung versorgt werden, weil Material fehlte. Als die ersten Medikamente zugelassen wurden, waren diese so teuer, dass nur die wenigsten sie sich leisten konnten. Ähnlich lief es mit dem Impfstoff: Während die meisten Menschen zum Beispiel in Deutschland schon die dritte Impfung erhalten hatten, waren Menschen in anderen Ländern noch nicht ein einziges Mal immunisiert.
Der Pandemievertrag
In einem Versuch als Weltgemeinschaft auf die nächste Pandemie besser vorbereitet zu sein, arbeiten die Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation aktuell an einem “Pandemievertrag”. Dieser soll rechtlich bindend sein und unter anderem regeln, wie in der nächsten Pandemie Medikamente und Impfstoffe bedarfsgerecht produziert und verteilt werden, wie Gesundheitspersonal eingesetzt wird und welche Daten geteilt werden können und sollen. Über das Ergebnis soll bei der Weltgesundheitsversammlung (WHA) 2024 abgestimmt werden.
Die jüngste Version wird aktuell in der WHO diskutiert. Wir haben den Textentwurf analysiert und an den aus humanitärer Sicht relevanten Stellen kommentiert.