Ärzte ohne Grenzen beklagt „stilles Sterben" in Gaza
Gaza/Jerusalem/Berlin, 29. April 2024. Das Gesundheitssystem im Gazastreifen ist in großen Teilen zerstört und die Menschen vor Ort sind zunehmend von akuter Mangelernährung bedroht. Dies geht aus dem heute veröffentlichten Bericht „Gaza’s silent killings: The destruction of the healthcare system and the struggle for survival in Rafah“ von Ärzte ohne Grenzen hervor. Die physische und psychische Gesundheit der Menschen verschlechtere sich rapide, warnt die Organisation.
Mehr als sechs Monate nach Beginn des Krieges in Gaza gehen die fatalen Auswirkungen weit über die durch israelische Bombardierungen und Luftangriffe getöteten und verletzten Menschen hinaus. Ärzte ohne Grenzen beschreibt in dem Bericht, wie schwer es für die Menschen im Gazastreifen ist, Zugang zu medizinischer Versorgung zu erhalten. Die Organisation warnt vor einer großen Zahl vermeidbarer Todesfälle durch die Unterbrechung der kritischen Gesundheitsversorgung.
Wie viele Kinder sind in den überfüllten Krankenhäusern bereits an Lungenentzündungen gestorben? Wie viele Säuglinge sind an vermeidbaren Krankheiten gestorben? Wie viele Diabetes-Erkrankte können nicht behandelt werden? Was ist mit den tödlichen Folgen von geschlossenen Dialyse-Zentren in angegriffenen Krankenhäusern? Dies sind die ‘stillen Todesfälle’ im Gazastreifen, die in dem Chaos untergehen und die der Zusammenbruch des Gesundheitssystems verursacht." - Mari-Carmen Viñoles, Leiterin des Notfall-Einsatzes von Ärzte ohne Grenzen.
Teams von Ärzte ohne Grenzen in Rafah berichten, dass die eingeschränkte Gesundheitsversorgung und die unmenschlichen Lebensbedingungen auch das Risiko von Krankheitsausbrüchen, Mangelernährung und psychologischen Traumata erhöhen. Ärzte ohne Grenzen warnt, dass ein militärischer Einmarsch in Rafah zusätzlich zur aktuellen humanitären Krise im Gazastreifen eine unvorstellbare Katastrophe wäre.
Die Lebensbedingungen in Rafah gefährden die Gesundheit, heißt es in dem Bericht, der sich auf medizinische Daten und Aussagen von Patient*innen stützt. Es gibt einen extremen Mangel an sauberem Wasser, während sich in den Straßen immer mehr Müll ansammelt und sich Abwässer stauen. Insgesamt halten sich auf kleiner Fläche mehr als eine Million Menschen auf.
Da die Krankenhäuser mit Verwundeten überlastet sind, bekommen zum Beispiel Schwangere mit Komplikationen und Menschen mit chronischen Krankheiten oft nicht die erforderliche Versorgung. Im Al-Emirati-Krankenhaus, in dem Ärzte ohne Grenzen die Wochenbettabteilung unterstützt, begleiten die medizinischen Teams fast 100 Entbindungen pro Tag – fünfmal mehr als vor dem Krieg. In den Kliniken von Ärzte ohne Grenzen nehmen außerdem die Konsultationen für Bluthochdruck, Diabetes, Asthma, Epilepsie und Krebserkrankungen zu.
Die psychische Gesundheit der Bevölkerung von Gaza – einschließlich des medizinischen Personals – ist ebenfalls schwer angeschlagen. Die meisten Patient*innen, die in den Kliniken von Ärzte ohne Grenzen ankommen, haben Symptome, die mit Angst und Stress zusammenhängen, einschließlich psychosomatischer und depressiver Erkrankungen.
„Als internationale medizinische Nothilfeorganisation verfügen wir über das Fachwissen und die Mittel, um unsere Hilfe auszuweiten", sagt Sylvain Groulx, Notfall-Koordinator von Ärzte ohne Grenzen. „Das palästinensische medizinische Personal ist hochqualifiziert und muss nur unter akzeptablen und menschenwürdigen Bedingungen arbeiten können, um die Menschen zu behandeln und Leben zu retten. All dies ist heute unmöglich. Ohne einen sofortigen und anhaltenden Waffenstillstand und den Zugang zu sinnvoller humanitärer Hilfe werden wir weiterhin mehr Menschen sterben sehen."
Ärzte ohne Grenzen ist derzeit in drei Krankenhäusern in Gaza tätig: Im Al-Aksa-Krankenhaus (mittlerer Bereich des Gazastreifens), und im Al-Emirati-Krankenhaus (südlicher Gazastreifen), im Indonesischen Krankenhaus in Rafah sowie in drei weiteren Gesundheitseinrichtungen in Al-Schabura und Al-Mawasi.
Die medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen bieten chirurgische Unterstützung, Wundversorgung, Physiotherapie, nachgeburtliche Versorgung, medizinische Grundversorgung, Impfungen und psychologische Betreuung an. Ärzte ohne Grenzen stellt darüber hinaus an verschiedenen Orten in Rafah täglich 300 Kubikmeter sauberes Wasser bereit und arbeitet daran, diese Menge zu erhöhen. Am 28. März errichtete Ärzte ohne Grenzen zudem eine neue Entsalzungsanlage in Al-Mawasi.
Stilles Sterben in Gaza
In unserem Bericht beleuchten wir die Zerstörung des Gesundheitssystems und den Überlebenskampf in Rafah aus humanitärer Sicht.