
Gaza: „Ein Massengrab für Palästinenser*innen und jene, die ihnen helfen”
Jerusalem/Berlin, 16. April 2025. Mit der Wiederaufnahme und Ausweitung der Militäroffensive der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen, der gewaltsamen Vertreibung von Menschen und der Blockade lebenswichtiger Hilfsgüter wird erneut und systematisch das Leben von Palästinenser*innen aufs Spiel gesetzt. Eine Reihe tödlicher Angriffe der israelischen Armee demonstriert außerdem die Missachtung humanitär Helfender in Gaza. Ärzte ohne Grenzen ruft die israelischen Behörden auf, die Blockade aufzuheben, die palästinensische Bevölkerung zu schützen und appelliert an alle Parteien, den Waffenstillstand wiederherzustellen.
„Der Gazastreifen hat sich in ein Massengrab für Palästinenser*innen und jene, die ihnen helfen, verwandelt. Wir erleben in Echtzeit die Zerstörung und Vertreibung der gesamten Bevölkerung in Gaza,” sagt Amande Bazerolle, Nothilfekoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Gaza. „Nirgendwo sind Palästinenser*innen und Helfende sicher. Auch die humanitäre Hilfe leidet unter dieser Unsicherheit.”
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums wurden seit Oktober 2023 mehr als 50.000 Menschen im Gazastreifen getötet, fast ein Drittel davon waren Kinder. Seit der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen am 18. März 2025 wurden den örtlichen Behörden zufolge mehr als 1.500 Menschen getötet. Seit Oktober 2023 haben laut den Vereinten Nationen außerdem mindestens 409 humanitär Helfende ihr Leben verloren, die meisten von ihnen Mitarbeitende des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Elf Mitarbeitende von Ärzte ohne Grenzen sind getötet worden – allein zwei in den vergangenen zwei Wochen.
Nach dem jüngsten Angriff der israelischen Sicherheitskräfte auf Mitarbeitende von Hilfsorganisationen wurden am 30. März in Rafah im Süden des Gazastreifens die Leichen von 15 Notfallhelfenden in einem Massengrab gefunden. Sie wurden von der israelischen Armee getötet, als sie versuchten Zivilist*innen zu helfen, die am 23. März unter Beschuss kamen. Öffentlich gewordene Belege zeigen, dass die Helfenden eindeutig gekennzeichnet und als solche identifizierbar waren, was die ursprüngliche Darstellung der israelischen Behörden infrage stellt.
„Diese schreckliche Tötung von Helfenden ist ein weiteres Beispiel für die eklatante Missachtung des Schutzes von humanitär und medizinisch Helfenden durch die israelischen Streitkräfte. Das Schweigen und die bedingungslose Unterstützung von Israels engsten Verbündeten bestärken diese Handlungen“, sagt Claire Magone, Generaldirektorin von Ärzte ohne Grenzen Frankreich. Der Organisation zufolge kann nur eine internationale und unabhängige Untersuchung die Umstände und die Verantwortung aufklären.
Obwohl die Situation schon seit mehr als 18 Monaten katastrophal ist, hat Ärzte ohne Grenzen in den vergangenen drei Wochen gleich mehrere Vorfälle beobachtet, bei denen humanitär Helfende getötet wurden. Das sogenannte „Humanitäre Notifizierungssystem” (HNS) zur Koordinierung der Bewegungen humanitär Helfender mit den israelischen Behörden – ein zuvor bereits unzureichender Mechanismus – ist noch unzuverlässiger geworden und bietet kaum noch Schutzgarantien. Orte, für die humanitär Helfende, darunter auch Teams von Ärzte ohne Grenzen, ihre Anwesenheit angemeldet haben, wurden von Granaten oder Kugeln getroffen – darunter Gesundheitseinrichtungen, Büros und Unterkünfte. Auch Gebiete in unmittelbarer Nähe von medizinischen Einrichtungen und medizinische Einrichtungen selbst waren Ziele von Angriffen, Kämpfen und Evakuierungsanordnungen.
Teams von Ärzte ohne Grenzen mussten viele Einrichtungen verlassen, während andere Helfende teilweise blieben und weiter arbeiteten. Personal wie Patent*innen waren oftmals in Gebäuden eingeschlossen und hatten keine Möglichkeit, diese sicher zu verlassen. So auch bei einem Vorfall am 7. April 2025, bei dem Teams von Ärzte ohne Grenzen und Patient*innen in einem provisorischen Krankenhaus in Deir al-Balah eingeschlossen waren, als die Hamas Raketen in der unmittelbaren Nähe abfeuerte und damit alle in Gefahr brachte und zu einer Evakuierungsanordnung des Bereichs durch die israelischen Streitkräfte führte, die wiederum das nahegelegene Al-Aksa-Krankenhaus und das Nasser-Krankenhaus angriffen.
Seit dem 18. März war es Ärzte ohne Grenzen nicht möglich, in das Indonesische Krankenhaus im Norden des Gazastreifens zurückzukehren, wo die Teams eigentlich mit der Versorgung von Kindern beginnen sollten. Sie mussten aus dem provisorischen Krankenhaus fliehen, das direkt neben der Einrichtung aufgebaut worden war. Auch den Betrieb von mobilen Kliniken im Norden musste die Organisation einstellen. Ebenso wenig konnte sie seit dem 18. März in die Al-Shaboura-Klinik in Rafah im Süden des Gazastreifens zurückkehren.
Ärzte ohne Grenzen verurteilt die Handlungen aller Kriegsparteien aufs Schärfste, fordert den Schutz von medizinischen Einrichtungen, Personal und von Patient*innen sowie ein Ende der Blockade.
„Die israelischen Behörden blockieren seit über einem Monat vorsätzlich jegliche Hilfsgüter für den Gazastreifen. Humanitär Helfende müssen mitansehen, wie Menschen leiden und sterben, während sie mit erschöpften Vorräten Hilfe leisten und dabei denselben lebensbedrohlichen Bedingungen ausgesetzt sind“, erklärt Bazerolle. „Unter solchen Umständen können sie ihren Einsatz auf keinen Fall erfüllen. Das ist kein humanitäres Versagen – das ist eine politische Entscheidung und ein vorsätzlicher Angriff auf die Überlebensfähigkeit eines Volkes, der ungestraft ausgeführt wird.”
Für weitere Auskünfte sprechen Sie uns an
