Libyen: Schiffsunglück mit 61 Toten wäre vermeidbar gewesen
Ärzte ohne Grenzen ist entsetzt über das Schiffsunglück vor der libyschen Küste mit 61 Toten. Aus Sicht der Nothilfeorganisation wäre diese Tragödie vermeidbar gewesen und zeigt erneut die tödlichen Folgen der europäischen Migrationspolitik. „Es kann nicht hingenommen werden, dass ein Boot mit 86 Menschen in Not nur 18 Seemeilen und weniger als 45 Minuten vor der libyschen Küste sinkt und dies den Tod von 61 Menschen zur Folge hat“, sagt Virginia Mielgo, Leiterin des Seenotrettungseinsatzes von Ärzte ohne Grenzen.
„Indem die Europäische Union die Verantwortung für das Grenzmanagement an die libysche Küstenwache übergeben hat, haben sich die europäischen Regierungen mitschuldig am Tod dieser Menschen gemacht“, so Mielgo. „Die libysche Küstenwache hat einmal mehr ihre Unfähigkeit unter Beweis gestellt, sichere Such- und Rettungsmaßnahmen zu koordinieren und den Verlust von Menschenleben auf See zu verhindern.“ Obwohl sowohl die italienischen, maltesischen und libyschen Seenotrettungsleitstellen über die gefährliche Situation informiert waren, traf erst nach acht Stunden ein Handelsschiff, die „Vos Triton“, in der Nähe des in Seenot geratenen Bootes ein.
Die Tatsache, dass keine Rettungsschiffe von Nichtregierungsorganisationen in dieser Nacht in der Nähe waren, ist das Ergebnis der ständigen Behinderung ziviler Such- und Rettungsarbeiten durch die italienischen Behörden. Zwei zivile Seenotrettungs-Schiffe, darunter die „Geo Barents“ von Ärzte ohne Grenzen, die sich nur zwei Tage zuvor in dem Gebiet befanden, waren gezwungen, mit jeweils weniger als 40 Überlebenden an Bord weit entfernte Häfen nördlich von Italien anzusteuern.
„Wir wurden wieder einmal mit nur sehr wenigen Menschen an Bord zu einem unnötig weit entfernten Hafen in Genua geschickt und mussten hilflos mit ansehen, wie Warnungen an die Behörden stundenlang unbeantwortet blieben“, sagt Mielgo.
Obwohl klar war, dass das Leben der Menschen in unmittelbarer Gefahr war, wurde nichts unternommen, bis es zu spät war.“
- Virginia Mielgo, Leiterin des Seenotrettungseinsatzes von Ärzte ohne Grenzen.
Die 25 Überlebenden des Schiffsunglücks wurden nach Libyen zurückgeschickt, wo Migrant*innen, Asylbewerber*innen und Geflüchteten schrecklicher Gewalt und Misshandlungen ausgesetzt sind. „Sobald wir realisierten, dass die ,Vos Triton‘ auf dem Weg nach Libyen war, wandten wir uns an die Besatzung des Schiffes und erinnerten sie an den Grundsatz der Nichtzurückweisung und daran, dass die Ausschiffung von Menschen in Libyen rechtswidrig wäre“, sagt Mielgo. „Es war herzzerreißend, als wir einige Stunden später erfuhren, dass diese illegale Rückführung dennoch stattgefunden hat und dass mehr als 60 Menschen gestorben sind.“
„Angesichts dieser erneuten Tragödie können sich die europäischen Regierungen nicht länger vor den Konsequenzen ihrer unmenschlichen politischen Entscheidungen verstecken“, sagt Mielgo. „Wir brauchen jetzt einen Kurswechsel in Europa, um eine Migrationspolitik zu verfolgen, die Leben rettet und nicht opfert.“
Im Jahr 2023 sind fast 2.300 Männer, Frauen und Kinder bei dem Versuch, das zentrale Mittelmeer nach Europa zu überqueren, ums Leben gekommen oder werden vermisst.