Nordosten Syriens hat viel zu wenig Material für Covid-19-Bekämpfung
Berlin/Nordost-Syrien, 4. Mai 2021. Covid-19-Behandlungszentren stellen den Betrieb ein, im einzig verfügbaren Labor reicht das Material nur noch für zwei Wochen, fast 1000 Mitarbeitende des Gesundheitswesens sind infiziert: Nordost-Syrien kämpft mit einem starken Anstieg der Covid-19-Zahlen bei gleichzeitigem Mangel an medizinischer Ausrüstung und Personal. Zudem hat die Region bisher keine einzige Impfdosis erhalten.
„Es ist schockierend, dass der Nordosten von Syrien ein Jahr nach Beginn der Pandemie immer noch nicht genügend Material hat, um sie einzudämmen, Patienten zu behandeln und das Gesundheitspersonal zu schützen“, sagt Crystal Van Leeuwen, Leiterin des Noteinsatzes in Syrien. Aufgrund der geringen Testkapazitäten bleibt vermutlich ein Großteil der Infektionen unentdeckt. Die tatsächliche Zunahme der Fälle lässt sich an der hohen Positivrate bei Tests sehen, die mittlerweile 47 Prozent beträgt (Deutschland: unter 10 Prozent). Nur ein einziges Labor in Qamischli kann auf Covid-19 testen. Das Material dort reicht nur noch für zwei Wochen, wenn kein Nachschub eintrifft.
Ärzte ohne Grenzen hat das Labor bereits vier Mal mit Lieferungen unterstützt. „Das Problem ist, dass es keine durch die Vereinten Nationen ermöglichten Transporte über die Grenze gibt“, sagt Van Leeuwen. Auch mindestens zwei Covid-19-Behandlungszentren in Hassake und Rakka haben den Betrieb eingestellt, weil sie keine Medikamente, kein Material und keine Finanzierung mehr haben. Viele weitere schlagen Alarm, weil sie dringend Sauerstoff, Antibiotika und Schutzausrüstung brauchen.
960 Ärzte, Krankenschwestern und weitere Mitarbeitende des Gesundheitswesens haben sich mit dem Coronavirus infiziert, geimpft wurde noch niemand. Die Impfpläne im Nordosten Syriens sind bislang völlig unzureichend. Lokale Behörden berichten, dass ihnen nur 20.000 Impfstoffe für ein Gebiet mit fünf Millionen Menschen zugesagt wurden, und es nicht klar ist, ob diese Impfstoffe überhaupt kommen.
„Wir sind ernsthaft besorgt, dass in der Region in absehbarer Zeit keine nennenswerten Covid-19-Impfungen stattfinden werden“, sagt Van Leeuwen. „Die Zuteilung von Impfstoff und anderen lebenswichtigen Hilfsgütern verteilt sich ungleich über die verschiedenen Regionen des Landes. Einmal mehr wird die humanitäre Hilfe im Nordosten Syriens durch die regionale Politik und das Fehlen eines grenzüberschreitenden UN-Mechanismus behindert.“
Viele Menschen im Nordosten Syriens haben nur einen eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsdiensten, Wasser und sanitären Einrichtungen, was sie besonders anfällig für diese zweite Welle der Pandemie macht. In den von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Covid-19-Behandlungszentren steigt die Sterblichkeit weiter an. Mehr als 70 Prozent der aufgenommenen Patienten brauchen eine Behandlung mit Sauerstoff, und es gelingt nicht, den großen Bedarf zu decken.
„Viele Menschen sterben hier weiterhin unnötigerweise an dieser Krankheit“, sagt Van Leeuwen. „Eine deutliche Aufstockung der Hilfe von Gesundheits- und humanitären Organisationen ist unabdingbar. Ebenso müssen die Geber sich flexibel zeigen, um Organisationen zu unterstützen, die die Pandemie bekämpfen.“