Infektionen und Antibiotikaresistenzen – komplizierte Behandlungen unter schwierigen Bedingungen
In Gaza behandeln wir viele Patient*innen, bei denen sich in Folge von Schusswunden Knocheninfektionen gebildet haben. Die komplizierten Verletzungen brauchen Monate, wenn nicht Jahre medizinischer Behandlung. Hinzukommt, dass viele der Erreger Resistenzen gegen Antibiotika entwickelt haben. Doch die Behandlungsmöglichkeiten in Gaza sind beschränkt, der Bedarf an Personal, Medikamenten und Ausstattung hoch. Die Patient*innen müssen neben den körperlichen Leiden mit zusätzlichen psychischen Belastungen umgehen. Neben der medizinischen Versorgung stehen wir ihnen daher auch mit psychosozialen Berater*innenteams so gut es geht zur Seite.
Ayman muss im Krankenhaus isoliert untergebracht werden, für mindestens sechs Wochen. So soll die Gefahr einer Ausbreitung resistenter Bakterien so gering wie möglich gehalten werden. Wer seinen Raum betreten möchte, muss Schutzkleidung tragen und sich beim Verlassen die Hände reinigen. Die Patient*innen auf der Isolierstation dürfen ihr Zimmer nur im Schutzkittel verlassen. Ayman sagt, er fühle sich wie im Gefängnis. “Ich mag es nicht, allein zu sein. Auf einer normalen Krankenstation könnte ich es ein Jahr lang aushalten, aber hier … Ich denke nur daran, wann ich endlich rauskomme.”
Ayman ist einer von, so schätzen wir, rund 1.000 Menschen in Gaza, die an schweren Knocheninfektionen leiden. Seit einem Jahr kommt es bei Demonstrationen immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Mehr als 7.400 Palästinenser*innen sind dabei seit Beginn der Proteste 2018 durch Schüsse mit scharfer Munition verletzt worden. Ungefähr die Hälfte von ihnen hat offene Frakturen erlitten, bei denen Knochen nahe der Wunde gebrochen sind.
Hohe Infektionsgefahr, limitierte Behandlungsmöglichkeiten
Schusswunden sind generell sehr anfällig für Infektionen. Bei einer solchen Verletzung durchbricht ein schmutziger Fremdkörper die Haut. Darum muss man die Wunde unbedingt reinigen, wenn man die Gefahr einer Infektion eindämmen möchte. Bei den Verletzungen, mit denen wir es in Gaza zu tun haben, sind die Wunden teilweise sehr groß, es sind Knochen gesplittert und nicht selten kommt es zu Komplikationen bei der Behandlung. Aus diesen Gründen sind viele Wunden noch lange nach der Verletzung offen.
“Bei einem offenen Bruch muss man unbedingt verhindern, dass sich die Wunde infiziert, was bei dieser Art von Verletzung leicht geschieht”, erklärt Aulio Castillo, der Leiter unseres medizinischen Teams in Gaza. “Leider haben sich bei vielen unserer Patienten mittlerweile chronische Infektionen entwickelt. Denn es handelt sich um schwere Verletzungen und die medizinischen Möglichkeiten hier sind stark eingeschränkt.” Der Bedarf an speziell ausgebildetem Personal, Medikamenten und Platz sei groß, berichtet Aulio Castillo.
Gefährliche Antibiotikaresistenzen
“Zu allem Unglück zeigen unsere Tests, dass viele der Betroffenen mit Antibiotika-resistenten Bakterien infiziert sind”, erzählt der medizinische Leiter. Solche Infektionen haben eine Widerstandsfähigkeit gegen normale Antibiotika ausgebildet und sind ein weltweites Problem. Es wäre überall auf der Welt schwierig, sie zu behandeln. In Gaza ist es aber noch schwieriger.
“Gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium haben wir ein Labor ausgebaut. Dort kann man jetzt Knochenproben untersuchen. So können wir herausfinden, welche Antibiotika wirksam sein könnten”, sagt Aulio Castillo. In Gaza ist dieses Labor einzigartig. Vor seiner Eröffnung musste jede Probe zur Untersuchung nach Israel geschickt werden.
“Ich möchte wieder als Tortenbäcker arbeiten!”
Für Ayman heißt es erst einmal warten. Seine Antibiotika werden ihm rund um die Uhr im Vier-Stunden-Takt intravenös verabreicht. Sein Zustand wird permanent vom Team überwacht, um sicherzustellen, dass die Infektion wirksam bekämpft wird und keine unerwünschten Nebenwirkungen auftreten. Vor ihm liegt eine lange Zeit der Ungewissheit. Wehmütig erinnert er sich an sein Leben vor der Verletzung. “Ich möchte wieder als Tortenbäcker arbeiten”, sagt er. Doch dafür braucht er weitere chirurgische Behandlungen. Und die können erst durchgeführt werden, wenn die Infektion abgeklungen ist.
Um die Menschen während der langen Behandlungsphase psychologisch zu unterstützen, beschäftigen wir Sozialarbeiter*innen und psychosoziale Berater*innen. “Wenn die Leute hören, dass sie isoliert untergebracht werden, sind sie erst einmal geschockt. Es kommt sogar vor, dass manche weinen”, sagt Sozialarbeiter Amal Abed. Unser Team nimmt sich viel Zeit für die Betroffenen, um ihnen die Situation zu erklären, und warum es wichtig ist, sich an die Sicherheitsvorschriften, die beispielsweise bei einer isolierten Unterbringung zu berücksichtigen sind, zu halten.
Darüber hinaus versuchen wir, Kontakt zwischen den verschiedenen Isolationspatient*innen zu ermöglichen, um ihre Stimmung hochzuhalten. “Wir müssen zwar die Sicherheitsvorschriften einhalten”, erklärt Amal, “aber wir holen sie gern aus ihren Zimmern, um gemeinsam zu singen, zu tanzen oder etwas Neues zu lernen.”