“Dann begannen sie, uns nacheinander zu vergewaltigen”
Mehr als 10.000 Betroffene, die überwiegende Mehrheit von ihnen Frauen – fast 20 Prozent sind minderjährig. Hinter dieser Zahl verbergen sich persönliche Geschichten von Menschen, die sexualisierte Gewalt überlebt haben und in Gesundheitszentren in der Demokratischen Republik Kongo um Hilfe gebeten haben. Aufgrund der Stigmatisierung der Patient*innen geben diese Zahlen nicht das wahre Ausmaß des Problems wieder: 10.810 Menschen haben die Kraft gefunden, Hilfe zu suchen. Doch wie viele mehr sind betroffen und sehen sich gezwungen, weiter zu schweigen?
Marie*, 20 Jahre alt, Nord-Kivu
"Wir waren auf dem Weg zu den Feldern als uns einige Männer anhielten. Sie forderten die Männer auf, sich auf den Boden zu setzen. Sie befahlen: "Ihr Frauen geht in den Wald."
Eine von uns schrie und wollte sich wehren. Aber sie fingen an, ihre Gewehre zu laden und sagten, sie würden uns töten, wenn wir uns weiter wehren würden. Dann begannen sie, uns nacheinander zu vergewaltigen. Bevor sie gingen, nahmen sie unsere Telefone mit.”
Die große Mehrheit der Frauen, die eine Vergewaltigung überlebt haben, werden von ihren Ehemännern sowie ihren Familien verstoßen.
Jahr für Jahr sind unsere Teams direkte Zeugen des Ausmaßes und der Auswirkungen sexualisierter Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo: "Sexualisierte Gewalt hat nicht nur medizinische Folgen. Es ist ein unsichtbarer Schmerz. Was mich zutiefst berührt, ist das Ausmaß der Gewalt, die unsere Patientinnen durchmachen. Das Ausmaß des Traumas, das nicht nur durch die Vergewaltigung selbst, sondern auch durch die Ablehnung des Opfers verursacht wird", erzählt Corneille Kangangila, unsere Spezialistin für mentale Gesundheit.
Tiefgreifende Folgen
Nach Angaben der Vereinten Nationen erhielt in der ersten Hälfte dieses Jahres schätzungsweise nur jede vierte Überlebende in der Demokratischen Republik Kongo medizinische Versorgung, fünf Prozent psychosoziale Unterstützung und nur 15 Prozent Rechtsbeistand[1].
Unser aktueller Bericht "Sexual Violence in the Democratic Republic of Congo" zeigt die tiefgreifenden Auswirkungen und Folgen der fehlenden Unterstützung im Alltag der Überlebenden.
Während wir Überlebende so gut wie möglich medizinisch und psychologisch versorgen, erfordert das Phänomen eine viel stärkere öffentliche Reaktion in den Bereichen Gesundheit, Schutz und Recht. Der derzeitige Mangel an Unterstützung bedeutet, dass die Überlebenden "doppelt bestraft" werden. Wir fordern daher, die nationalen und internationalen Anstrengungen rasch zu verstärken, um den dringenden und langfristigen Bedürfnissen aller Betroffenen gerecht zu werden.
Im Jahr 2020 unterstützten wir 10.810 Überlebende sexualisierter Gewalt in insgesamt 22 Projekten in der Demokratischen Republik Kongo. Von den unterstützten Personen waren 98 Prozent Frauen, und 62 Prozent suchten innerhalb der ersten 72 Stunden Hilfe.
[1] United Nations, DRC (2020). "Humanitarian Coordinator calls for continued efforts to end gender-based violence".