Direkt zum Inhalt
Zurück
Menü

“Wir lassen uns von Noma nicht aufhalten”

In vielerlei Hinsicht haben Muhammadu Usman, Mulikat Okanlawon und Dahiru Saidu wenig gemeinsam. Sie wurden in verschiedenen Landesteilen Nigerias geboren, wuchsen in unterschiedlichen Verhältnissen und mit unterschiedlichen Träumen auf. Doch sie verbindet, dass sie als Kinder an Noma erkrankt sind. Die Krankheit veränderte ihr Leben für immer.

Noma ist eine vermeidbare Krankheit, die leicht zu behandeln ist, wenn sie rechtzeitig erkannt wird. Unbehandelt zerfrisst sie innerhalb weniger Wochen die Haut und die Knochen des Gesichts und führt bei bis zu 90 Prozent der Infizierten, meist Kindern, zum Tod. Die 10 Prozent, die überleben, sehen sich mit einer Zukunft voller Schmerzen, Unbehagen und sozialer Stigmatisierung konfrontiert. 

Muhammadu, Mulikat und Dahiru haben einen Weg in eine andere Zukunft gefunden. Sie begegnen sich jeden Tag im Sokoto Noma Krankenhaus, das von Ärzte ohne Grenzen unterstützt wird. Hier wurden sie behandelt, fanden neue Zuversicht und beschlossen zu bleiben, um Teil der Lösung zu sein.

Mohammadu kam von weit her

Image
Muhammadu Usman
Muhammadu Usman
© Fabrice Caterini/MSF

"Mein Vater brachte mich auf der Suche nach Heilung in verschiedene Gesundheitseinrichtungen", erinnert sich Muhammadu Usman, der jetzt Schüler einer örtlichen Schule und Reinigungskraft im Sokoto Noma Hospital ist. "Schließlich erzählte uns jemand von einem Krankenhaus in Sokoto. Es war so weit von unserer Stadt entfernt, dass mein Vater zuerst einige Tiere verkaufen musste, um die Reise zu finanzieren." 

Als Muhammadu in Sokoto ankam, konnte er kaum den Mund öffnen. Essen und Sprechen war fast unmöglich. Nach zwei chirurgischen Eingriffen ist das jetzt kein Problem mehr und er fühlt sich viel wohler: "Ich kann überall hingehen und schäme mich nicht mehr", sagt er. “Außerdem bemühe ich mich, andere über Noma aufzuklären, damit sie zum Beispiel wissen, dass tägliches Zähneputzen das Risiko verringert.” 

"Jetzt bin ich derjenige, der anderen hilft"

Muhammadu hat in Sokoto Freunde gefunden, einer davon ist Dahiru Saidu. Obwohl sie an verschiedenen Stellen im Krankenhaus arbeiten, sind ihre Begegnungen von Wärme geprägt, sie lächeln, tauschen Höflichkeiten und Neuigkeiten aus.

Image
Dahiru Saidu
Dahiru Saidu
© Fabrice Caterini/MSF

Dahiru erinnert sich noch sehr gut an seine erste Operation, kurz nachdem er als Teenager aus dem Bundesstaat Niger ins Noma-Krankenhaus von Sokoto gekommen war. Als er sich im Krankenhaus erholte, lernte er seine erste Frau Fatima kennen, eine andere Noma-Überlebende. Er beschloss ebenfalls im Krankenhaus zu bleiben und dort als Reinigungs- und Sicherheitskraft zu arbeiten. Leider verlor er seine Frau Fatima bei der Geburt von Zwillingen, die ebenfalls starben. "Es war sehr schwer", berichtet er. “Aber ich habe wieder geheiratet und habe jetzt zwei gesunde Kinder, die hoffentlich bald zur Schule gehen werden.”

"Ich bin jetzt glücklich", sagt Dahiru Saidu. "Wenn ich mein früheres und mein jetziges Leben betrachte, bin ich sehr glücklich. Ich kann nicht glauben, dass ich jetzt derjenige bin, der anderen hilft." 

Muhammadu und Dahiru folgen damit dem Beispiel von Mulikat.

Eine starke Stimme

Mulikat Okanlawon ist eine starke Stimme im Kampf gegen Noma. Sie arbeitet in Sokoto im Bereich Gesundheitsförderung und psychische Gesundheit. Indem sie ihre Geschichte erzählt, befähigt sie die Menschen in den Gemeinden, die Krankheit frühzeitig zu erkennen. Und sie hilft Kindern, die an Noma erkrankt sind, und ihren Familien, die Hoffnung nicht zu verlieren.

Image
Mulikat Okanlawon
Mulikat Okanlawon
© Fabrice Caterini/MSF

"Ich verstehe ihr Leid", sagt Mulikat. “Ich habe viel geweint und mir oft gewünscht, ich hätte nicht überlebt, um die Stigmatisierung und die sozialen Auswirkungen der Krankheit nicht erfahren zu müssen. Lange Zeit wollte ich keine sozialen Kontakte knüpfen”, berichtet sie. “Zum Glück kam ich nach Sokoto. In 20 Jahren habe ich mich fünfmal operieren lassen. Jetzt geht es mir gut, und ich kämpfe dafür, dass Noma offiziell als vernachlässigte Tropenkrankheit anerkannt wird.”

Dies würde bedeuten, dass die Krankheit mehr Aufmerksamkeit erfährt und mehr Ressourcen in ihre Prävention und Behandlung investiert werden. Heute ist Noma näher denn je daran, offiziell in die Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgenommen zu werden. 

Vorbilder an einem Ort der Hoffnung

Das Krankenhaus ist für alle drei zu einem Ort der Hoffnung geworden. Sie haben im Genesungsprozess nicht nur ihre Würde wiedererlangt, sondern auch Mittel gefunden, um ihre Träume zu verwirklichen: Träume von einem Leben mit einer Ausbildung, einer Arbeit, einer Familie.

Während sie ihre täglichen Aufgaben im und um das Krankenhaus herum erfüllen, sind sie eine Inspiration für die von Noma betroffenen Menschen und Noma- Überlebenden, die in Sokoto ankommen und sich oft genauso hoffnungslos fühlen, wie sie es einst waren. 

Wir unterstützen das Sokoto Noma Hospital des nigerianischen Gesundheitsministeriums seit 2014 mit rekonstruktiven Operationen, Ernährungsberatung und psychologischer Betreuung. Seit 2014 haben unsere chirurgischen Teams 1.152 Operationen an 801 Patient*innen durchgeführt. 

“Wir lassen uns von Noma nicht aufhalten”

Mulikat, Muhammadu und Dahiru sehen in Bildung den Schlüssel für eine selbst bestimmte Zukunft, jetzt, wo Noma sie nicht mehr zurückhält. 

"Ich wollte plötzlich lesen lernen, um eines Tages Arzt werden zu können", erinnert sich Muhammadu an seine erste Zeit in Sokoto. “Die Ärzt*innen unterstützten mich dabei, hier zu bleiben und auf ein Internat zu gehen, und mein Vater war einverstanden. In den Ferien blieb ich im Krankenhaus und putzte Autos, um etwas Geld zu verdienen. Und dann habe ich den Job als Reinigungskraft bekommen. Ich gehe weiter zur Schule und mein Ziel ist es immer noch, Arzt zu werden.”

Mulikat hat ihre Ausbildung im Gesundheitsinformationsmanagement wieder aufgenommen und 2018 abgeschlossen. Sie ist auch Mitbegründerin von Elysium, der ersten Stiftung für Überlebende von Noma. Sie reist unter anderem ins Ausland, um ihre Geschichte zu erzählen und das Bewusstsein für die Krankheit zu schärfen. "2022 verließ ich Nigeria zum ersten Mal, um mit denjenigen zu sprechen, die Entscheidungen treffen, und sie zu bitten, Noma die notwendige  Aufmerksamkeit zu schenken", sagt sie.

Dieses Jahr wird hoffentlich ein Wendepunkt im Leben von Muhammadu, Mulikat und Dahiru und allen anderen Menschen sein, die von Noma betroffen sind oder mit den Folgen der Krankheit leben. Denn im September wird darüber entschieden, ob Noma in die Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten aufgenommen wird. Die Erwartung ist, dass mit der Aufnahme von Noma auf die WHO-Liste perspektivisch die Präventions-, Diagnostik- und Behandlungsmöglichkeiten dieser Krankheit verbessert werden.

Hören Sie jetzt die Podcastfolge zu Noma: Tödlich, und dennoch kaum erforscht

In unserem Podcast "Notaufnahme" berichten Expert*innen und Mitarbeitende aus ihrer Arbeit. Die Krankenpflegerin Fabia Casti hat neun Monate in dem von uns unterstützen Krankenhaus in der nigerianischen Stadt Sokoto gearbeitet. Dort behandelte sie Patient*innen, die von einer Noma-Infektion betroffen waren. Seitdem setzt sie sich dafür ein, dass die Krankheit mehr Aufmerksamkeit erhält.

Die Krankheit Noma

Noma ist eine Krankheit, die es nicht mehr geben sollte. Die Infektion kann schwere Gewebeschäden im Gesicht verursachen und gravierende psychischen und soziale Folgen für die Betroffenen haben.