„Die vergangene Woche war katastrophal“ - Audiobericht einer Ärztin aus Ost-Ghuta
Eine Ärztin, die in Ost-Ghuta ein provisorisches Krankenhaus koordiniert, hat aufgezeichnet, wie sie die albtraumhafte Situation erlebt, in der sie und ihre KollegInnen sich zurzeit befinden. Die Klinik wird von Ärzte ohne Grenzen seit 2013 unterstützt. Aus Sicherheitsgründen bat uns die Ärztin darum, anonym zu bleiben und auch den genauen Ort der Einrichtung nicht zu nennen. Die Aufzeichnung entstand in der Nacht zum Sonntag, dem 25.2.2018.
Bei uns werden fast jeden Tag Kriegsverletzte eingeliefert. Sie kommen aus allen Gesellschaftsschichten. Die große Mehrheit der Verwundeten sind Zivilisten: Kinder, Frauen und Männer. Wir sind vor allem damit beschäftigt, diese Verletzten zu retten – so wie es irgend möglich ist mit den Kapazitäten, die wir haben. Denn wir leben seit mehr als fünf Jahren unter der Belagerung, und unsere Kapazitäten sind sehr begrenzt. Trotzdem leisten wir meiner Meinung nach gute Arbeit und retten im Rahmen unserer Möglichkeiten viele Leben.
Ununterbrochene Bombardierung
Die schwierigste Herausforderung sind die ununterbrochenen Bombardements und Einschläge. Deswegen steigt die Zahl der Verwundeten, was zur Erschöpfung unserer MitarbeiterInnen führt. Unser medizinisches Material wird so aufgebraucht und auch die Medikamente werden weniger. Wir können uns kaum bewegen, die Fahrten der Ambulanzwagen werden behindert, selbst für Menschen ist es sehr schwierig sich (draußen) zu bewegen. Außerdem behindert die Belagerung die Lieferung medizinischen Materials nach Ost-Ghuta. In unseren Beständen fehlt diverses Material, das wir nicht zur Verfügung haben. Das sind die beiden größten Herausforderungen für uns als medizinisches Personal.
Zahlreiche Tote und Verwundete
Sehr viele Verwundete wurden eingeliefert, sehr viele Tote. Die Mehrzahl der Kriegsverletzungen war schwerwiegend: Amputationen, Kopfverletzungen und mehrfache Verwundungen. Es ist sehr schwierig uns zu bewegen, wegen der ständigen Einschläge. Es gab keine Unterbrechung bei den Bombardements, in denen wir Patienten hätten transportieren können. Unsere Rettungsteams hatten Probleme, Menschen aus den Trümmern zu retten und sie ins Krankenhaus zu bringen.
Wir haben Schwierigkeiten, wenn wir Patienten auf die Intensivstation bringen oder zu anderen Spezialisten wie Neurologen oder Gefäßchirurgen. Das bedeutete für viele Patienten eine dramatische Verschlechterung ihrer Situation, und einige Patienten sind gestorben. Um ehrlich zu sein, die vergangene Woche war katastrophal für uns medizinisches Personal. Unsere Kapazitäten und Lagerbestände sind erschöpft, weil wir in den vergangenen fünf Jahren belagert wurden und medizinische Güter nicht nach Ost-Ghuta gelangen konnten.
„Wir haben seit Tagen kaum geschlafen“
Das medizinische Personal ist erschöpft von den ständigen Bombardements, die eine ganze Woche weder Tag noch Nacht aufgehört haben. Wir haben seit Tagen kaum geschlafen. Nur wenige Stunden in den vergangenen Tagen und natürlich in Schichten. Die meisten KollegInnen mussten wach bleiben und Schichten wechseln, weil es einen ständigen Zustrom von vielen Verletzten gab. Es gibt kaum noch Essen für das medizinische Personal. Das tägliche Leben in Ost-Ghuta ist vollständig gelähmt. Es gibt keine Märkte, keine Geschäfte, keine Orte, an denen man Lebensmittel kaufen kann. In dem Krankenhaus, in dem ich arbeite, nimmt das Personal zum Beispiel alle 24 Stunden eine kleine Mahlzeit zu sich.
An einem Tag kamen sogar Menschen zu uns, die in nahe gelegenen Unterkünften Schutz gefunden hatten. Sie hatten seit Tagen nichts gegessen. Unser Personal gab ihnen, das wenige, was sie hatten. So hatten sie an diesem Tag selbst kein Essen mehr. Das medizinische Personal ist erschöpft und hungrig, ganz abgesehen von dem psychologischen Stress. Wir hören ständig das konstante schreckliche Geräusch der Bombardements. Es gibt keine Geräusche, die lauter sind als die Bombenangriffe auf ganz Ghuta. Und auch die Dinge, die die Mitarbeiter sehen, die Leichen, tote Kinder und Babys, die Körperteile, die Amputationen und andere schreckliche Wunden.
„Die Kampfflugzeuge blieben den ganzen Tag am Himmel“
Zu Samstagnacht, 25. Februar, kann ich Folgendes sagen: Wir hörten, dass es einen 'Hudne' (Waffenstillstand) gibt, dass wir keine Verwundeten mehr bekommen und nicht beschossen werden sollten. Die Nacht war dann relativ ruhig, aber ab dem frühen Morgen des folgenden Tages waren wir unter Beschuss. Der Lärm der Kampfflugzeuge war seit dem frühen Morgen zu hören und hielt die ganze Zeit an. Die Kampfflugzeuge blieben den ganzen Tag am Himmel über Ost-Ghuta. Am frühen Morgen waren wir Artilleriebeschuss und mehr als einer Bombe aus der Luft ausgesetzt.
Im Vergleich zu den Vortagen war der Beschuss weniger stark und seltener. Die Anzahl der Verwundeten war viel geringer. Es gab nur drei Tote in einigen der Krankenhäuser. Normalerweise sind es viel mehr. Auch die Anzahl der Verwundeten war viel geringer als normalerweise. Am Sonntagmorgen gab es Einschläge, und auch jetzt gibt es noch Luftangriffe. Während ich spreche, fallen Raketen auf Ghuta.