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Feministische Außenpolitik muss sexuelle und reproduktive Rechte voranbringen

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Porträt Stephanie Johanssen

Stephanie Johanssen

Ich bin Expertin für sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte und arbeite in der politischen Abteilung von Ärzte ohne Grenzen.

Schweden, Kanada, Mexiko und andere Länder haben es vorgemacht, nun hat auch Deutschland seine Leitlinien zu einer feministischen Außenpolitik vorgestellt und damit ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag [1] umgesetzt. Die Leitlinien enthalten gute Ansätze, und es ist wichtig und zeitgemäß, dass deutsche Außenpolitik bisherige Machtstrukturen hinterfragt und die gerechte Teilhabe und Gleichstellung aller Menschen realisiert. Ihr Erfolg wird sich aber daran messen müssen, ob sie die Lebenssituation von bislang marginalisierten Menschen konkret verbessert, darunter auch unsere Patient*innen.

Leitlinien für Geschlechtergerechtigkeit

Zu feministischer Außenpolitik gibt es keine einheitliche Definition [2]. Grundsätzlich hat sie jedoch das Ziel, Geschlechtergerechtigkeit auf allen Ebenen in außenpolitischen Fragen zu berücksichtigen und die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen sicherzustellen.

Deutschlands Leitlinien sehen u.a. vor, sich stärker für den Schutz und die Förderung sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte einzusetzen. Dies ist begrüßenswert. Denn in vielen Teilen der Welt, auch hier in Deutschland, sind sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte immer noch keine Selbstverständlichkeit - obwohl Staaten nach internationalem Recht verpflichtet sind, diese umzusetzen. [3]

Sexuelle & reproduktive Gesundheitsversorgung rettet Leben

In unserer Arbeit sehen wir täglich, was es für katastrophale Folgen hat, wenn Menschen der Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheitsversorgung verwehrt wird. Zum Beispiel bei Schwangeren, die eine ungewollte Schwangerschaft mit unsicheren Methoden beenden, da sie keinen Zugang zu sicheren Abbrüchen haben, und sich dabei lebensbedrohliche und lebenslange Verletzungen zuziehen. [4] Oder bei Menschen mit einer HIV-Infektion, die keinen Zugang zu Medikamenten haben, die den Ausbruch von AIDS effektiv verhindern könnten. [5]

Sexuelle und reproduktive Gesundheit ist daher ein elementarer Bestandteil der medizinischen Versorgung unserer Patient*innen."

Dazu gehören:

  • die Versorgung während Schwangerschaft und Geburt 
  • die umfassende Behandlung Überlebender von sexualisierter und geschlechtsbezogener Gewalt einschließlich der Vorbeugung und Behandlung von sexuell übertragbaren Infektionen und Notfallverhütung
  • Familienplanung und Aufklärung
  • sichere Schwangerschaftsabbrüche
  • die Prävention und Behandlung von Brust- und Gebärmutterhalskrebs einschließlich der Impfung gegen humane Papillomaviren [6].

Um eine glaubwürdige feministische Außenpolitik im Bereich sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte umzusetzen, bedarf es eines systematischen und konsistenten Ansatzes. Die Absichten der deutschen Außenpolitik, sich zu engagieren, Programme auszuweiten und multilaterale Initiativen zu unterstützen sind lobenswert, reichen jedoch noch nicht aus.

Schwangerschaftsabbrüche als medizinische Notwendigkeit

Es ist beispielsweise rückschrittlich, dass in den Leitlinien des Auswärtigen Amtes eine explizite Unterstützung sicherer Schwangerschaftsabbrüche fehlt. Dies lässt Zweifel an der Ankündigung aufkommen, man wolle politische Führung zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten zeigen. Das Thema Schwangerschaftsabbrüche wird in internationalen und nationalen Debatten zu Frauenrechten und Gesundheit regelmäßig politisiert, stigmatisiert und aus dem medizinischen Kontext genommen.

Ein klares Bekenntnis wäre hier daher für eine feministische Außenpolitik wichtig."

Laut Weltgesundheitsorganisation sterben jedes Jahr Zehntausende Frauen und Mädchen an den Folgen eines unsachgemäßen Abbruchs. [7] Es wird zudem davon ausgegangen, dass jährlich Millionen Frauen wegen unsachgemäßer Abbrüche in Krankenhäusern behandelt werden. [8] Allein meine Kolleg*innen versorgten 2021 in unseren Projekten weltweit 18.300 Patient*innen wegen Komplikationen bei einem Schwangerschaftsabbruch - die Mehrheit von ihnen aufgrund unsachgemäßer Abbrüche. [9] Um derartigen Folgen vorzubeugen, arbeiten wir bei Ärzte ohne Grenzen nach einem Drei-Säulen-Prinzip: Wir bieten Verhütungsmittel an, helfen mit medizinischer Nachsorge nach unsachgemäßen Abbrüchen und ermöglichen sichere Schwangerschaftsabbrüche.

Es fehlt vor allem an der Umsetzung, nicht an Normen

Und dann kündigen die Leitlinien an, den normativen Rahmen stärken zu wollen. Dabei gibt es bereits eine große Anzahl von internationalen Abkommen [10] und Standards [11], die, wenn sie konsequent umgesetzt würden, zu einer erheblichen Verbesserung von Geschlechtergerechtigkeit und geschlechtersensibler Gesundheitsversorgung führen würden. Stattdessen ist die Verhandlung neuer Normen oft den Versuchen einzelner Akteure ausgesetzt, bestehende Standards zu verwässern. Hier wäre es wirkungsvoller, auf die konsequente und vollständige Umsetzung internationaler Standards zu bestehen und bei Nichteinhaltung auch in kritischen Momenten Stellung zu beziehen.

Als Deutschland 2019 im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) eine neue Resolution zu sexualisierter Gewalt in Konflikten einbrachte, strich man aufgrund politischen Drucks der USA [12] Referenzen zu sexueller und reproduktiver Gesundheit aus dem Text. Südafrika bemerkte damals: „Wir möchten nochmals unsere Überzeugung bekräftigen, dass jede*r das Recht auf Zugang zu Gesundheitsversorgung hat, inklusive reproduktiver Gesundheit. Es ist bedauerlich, dass der angenommene Text nicht die Fortschritte berücksichtigt, die in den vergangenen Jahren in diesem sehr wichtigen Bereich erzielt wurden.”

Solche Zugeständnisse gefährden den internationalen Konsens. Gleichzeitig sind andere UN-Sicherheitsresolutionen, die ausdrücklich sexuelle und reproduktive Gesundheitsversorgung für Überlebende sexualisierter Gewalt in humanitären Kontexten fordern, weiterhin gültig. Als zweitgrößter humanitärer Geber hätte Deutschland hier die Möglichkeit, mit gutem Beispiel voranzugehen und zu gewährleisten, dass humanitäre Hilfe sexuelle und reproduktive Gesundheitsleistungen systematisch in die medizinische Erstversorgung integriert und Zugang zum gesamten Spektrum gewährleistet wird.

A little more action please

Die Bundesregierung muss hier ihrer politischen, rechtlichen und humanitären Verantwortung gerecht werden, indem sie sicherstellt, dass die weiterhin bestehende Kluft zwischen Verpflichtungen und praktischer Umsetzung endlich überwunden wird.

Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte sind keine politische Verhandlungsmasse, sondern eine medizinische Notwendigkeit, die über Leben und Tod entscheiden kann."

 

1 Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP

2 UN Women: Feminist foreign policy

3 UN: Sexual and reproductive health and rights in international law 

4 Artikel von Ärzte ohne Grenzen: Unsichere Schwangerschaftsabbrüche - eine übersehene Gesundheitskrise

5 Artikel von Ärzte ohne Grenzen: HIV und AIDS 

6 Voanews: MSF in Malawi Takes HPV Vaccine to Primary School Girls

7 WHO: Key facts about abortion

8 National Library of medicines: Facility-based treatment for medical complications resulting from unsafe pregnancy termination in the developing world

9 Article Doctors without Borders: Safe abortion care is healthcare

10 UN: Sexual and reproductive health and rights

11 Inter-Agency Standing Committee - Standards on Gender Equality and the Empowerment of Women and Girls in Humanitarian Action

12 CNN-Article: US successfully removes ‘sexual health’ references from UN resolution on sexual violence