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Wissen weitergeben, rettet Leben

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Portrait Dr. Parnian Parvanta

Parnian Parvanta

Ich arbeite seit 2011 mit Ärzte ohne Grenzen und war seitdem unter anderem in Indien, Nigeria und dem Irak im Einsatz. Seit 2019 bin ich Mitglied des deutschen Vorstandes der Organisation und dort inzwischen stellvertretende Vorsitzende.

Wissen weitergeben, rettet Leben 

Mit ungefähr drei Jahren, also wahrscheinlich als ich angefangen habe zu denken und zu verstehen, was Berufe sind, habe ich entschieden, dass ich Ärztin werden will. Zu diesem Zeitpunkt lebten wir noch in Kabul in Afghanistan und meine Tante studierte Medizin. Sie war mir ein Vorbild.  Und als ich acht Jahre alt war und wir nach Deutschland flohen, festigte sich dieser Wunsch noch mehr. 

Nach der Schule fragte ich mich, ob es wirklich die richtige Entscheidung war und schwankte dann kurz zwischen Mathematik und Medizin, habe mich dann aber für Letzteres entschieden und bin bis heute sehr froh darüber. Das Studium hat mir Spaß gemacht, aber als ich fertig war, wollte ich erst mal nicht langfristig an einer deutschen Klinik arbeiten und habe mich viel mit humanitärer Hilfe auseinandergesetzt. Einsätze in Krisengebieten erschienen mir eine spannende und gleichzeitig sinnvolle Tätigkeit und da war dann natürlich Ärzte ohne Grenzen eine der Organisationen ganz oben auf meiner Liste.  

Großer Respekt vor der Aufgabe 

Ich weiß noch, wie aufgeregt ich war, als ich mich beworben habe. Damals war ja noch alles auf Papier, und ich habe noch nie so viele Unterlagen für eine Bewerbung ausgefüllt. Auch das Gespräch dauerte viel länger, als ich es aus Bewerbungsprozessen an deutschen Kliniken gewohnt war. Als ich dann genommen wurde, war ich noch aufgeregter, denn einerseits wollte ich das unbedingt machen. Andererseits hatte ich einen wahnsinnigen Respekt vor dem, was kommt.

Ich habe mich von Anfang an sehr wohlgefühlt bei der Organisation, weil ich mich mit ihren Prinzipien identifizieren konnte, und so geht es mir bis heute. 

Natürlich weiß ich inzwischen, dass nicht alles so rosarot und perfekt ist, wie ich mir das am Anfang vorgestellt habe, aber zum einen haben wir eine sehr selbstkritische Arbeitskultur und sind immer sehr daran interessiert, uns zu verbessern. Und zum anderen sind unsere humanitären Prinzipien ein fester Anker und etwas, womit ich mich sowohl als Mensch mit Fluchtgeschichte, als auch als Ärztin stark identifiziere: Mir geht es in erster Linie darum, Patient*innen zu behandeln. Welchen Glauben sie haben, welche Hautfarbe, woher sie kommen, was sie in ihrer Freizeit tun? Das interessiert mich nicht. Das mag so simpel und einfach sein, aber Ärzte ohne Grenzen lebt das tatsächlich. 

Wissen weitergeben, rettet Leben 

Und wo ich meine Arbeit mache, das hängt davon ab, wo ich gerade einen Mehrwert leisten kann. Zuletzt war ich zum Beispiel zweimal in Mossul im Irak und habe dort 19 Hebammen und Ärztinnen in gynäkologischem Basis-Ultraschall ausgebildet. Also ihnen ein gewisses Basiswissen an den Geräten vermittelt, damit sie gynäkologische Notfälle möglichst frühzeitig erkennen können. Da in unserem Projekt dort schwere Schwangerschaftskomplikationen nicht behandelt werden können, ist es entscheidend, dass die Patientinnen im Notfall zügig in andere Gesundheitseinrichtungen überwiesen werden. 

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Ausbildung für Hebammen am Ultraschall-Gerät
Unsere leitende Hebamme, Rahma Adla Abdallah, wurde von Parnian Parvanta am Ultraschall-Gerät ausgebildet.
© Elisa Fourt/MSF

Dieser Wissenstransfer kann Leben retten. Das Tolle an den Trainingseinheiten ist, dass sie sehr fokussiert sind: intensiv und effizient. Das ist auch etwas, was ich an Ärzte ohne Grenzen sehr zu schätzen gelernt habe. Ich habe auch selbst Trainings bei der Organisation bekommen, das waren mit die besten, die ich hatte. Und jetzt sind da in Mossul 19 Frauen, die in der Lage sind, Notfälle per Ultraschall zu erkennen. Nicht alle könnten sofort sagen, was die Diagnose ist, aber sie können sagen: Da stimmt etwas nicht, und diese Patientin muss an jemanden überwiesen werden, der sich besser auskennt bzw. anderswo behandelt werden. 

“Ich mache diesen Job unglaublich gerne” 

Mein erster Einsatz in Mossul war im Frühjahr vergangenen Jahres. Als ich jetzt nach neun Monaten zurückkam für das Aufbautraining, berichteten mir die Kolleg*innen vor Ort stolz von den Notfällen, die sie in der Zwischenzeit entdeckt hatten. Und da war ich natürlich auch unglaublich stolz auf meine Kolleginnen und auf das, was sie gelernt und umgesetzt hatten, denn diesen Patientinnen und ihren Babys hat das im Zweifel das Leben gerettet. Wenn ich jetzt aber anderthalb Monate da gewesen wäre und selbst nur Ultraschalle gemacht hätte und dann wieder weggegangen wäre, dann wäre mein Wissen mit mir weggegangen. Stattdessen sind da zwei Ultraschallgeräte jeden Tag im Einsatz mit den Kolleg*innen, die das ganze Jahr vor Ort sind.  

Ich lasse Wissen da und das ist unglaublich wertvoll. Und so bringen diese kurzen Einsätze von wenigen Wochen langfristig für deutlich mehr Patient*innen etwas. Da bin ich mir sicher. 

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Ausbildung für Hebammen am Ultraschall-Gerät in einer Geburtsklinik im Irak
Hebamme Yousra H. Ali lernt gemeinsam mit ihren Kolleginnen, freie Flüssigkeit im Bauchraum zu suchen und übt hier an ihrer Trainerin.
© privat

Inzwischen bin ich sehr dankbar, diese verschiedenen Welten in meinem Leben zu haben – die Arbeit als Gynäkologin in Deutschland und parallel weltweite Einsätze mit Ärzte ohne Grenzen und das Engagement im Vorstand. Mir machen die Gynäkologie und Geburtshilfe einfach wirklich große Freude und das egal, wo ich bin. Ich mache diesen Job unglaublich gern, und das ist auch etwas, was ich bei unserer Organisation gelernt habe: Das, womit du täglich die meiste Zeit verbringst, das muss dir Spaß machen. Wenn man gern in der humanitären Hilfe arbeiten möchte, sollte man das im Hinterkopf haben.  

Aber es gibt so viele Möglichkeiten und Berufsfelder in diesem Bereich, und wenn man seinen Interessen folgt, dann ergibt sich am Ende eine Einstiegsmöglichkeit. Wie zum Beispiel bei unserer, von mir sehr geschätzten, ehemaligen Geschäftsführerin Ulrike von Pilar. Als ich sie kennenlernte und erfahren habe, dass sie Mathematik studiert hat, war ich überrascht. Denn ich hätte nach der Schule nicht gedacht, dass man damit auch in die humanitäre Hilfe gehen könnte. Und inzwischen kennen ich so viele verschiedene Wege, die zu einer Arbeit bei Ärzte ohne Grenzen führen - das ist wirklich beeindruckend.