Direkt zum Inhalt

"Nichts wird sich mir in den Weg stellen"

Image
Portraitbild von Ola Barakat. Sie lächelt freundlich in die Kamera und trägt ihre Arbeitskleidung mit Ärzte ohne Grenzen Logo.

Ola Barakat

Ich bin Pharmazeutin bei Ärzte ohne Grenzen und arbeite derzeit in Jordanien.

Zuallererst bin ich eine Frau. Ich bin Mutter von zwei Kindern, Ayham (4) und Adam (8 Monate). Und ich bin Apothekenleiterin bei Ärzte ohne Grenzen in Jordanien.

Meine Reise

Seit neun Jahren arbeite ich bei Ärzte ohne Grenzen. Teil einer humanitären Organisation zu sein, bedeutet auch, immer aufs Neue Zeugin menschlichen Leids zu werden.  

Diese Erfahrung hat mich stark und mitfühlend zugleich gemacht.

Stärke und Mitgefühl haben mir sehr geholfen, ambitioniert und leidenschaftlich in meinem Beruf voranzukommen. Dies bedeutete allerdings auch, mit einigen Bräuchen und Traditionen in Jordanien zu brechen, die die Selbstverwirklichung einer Frau einschränken können.  

Meine Tätigkeit im humanitären Bereich hat mir dabei geholfen ohne Zögern und Angst alle Herausforderungen auf meinem Weg zu meistern.  

Die Herausforderung annehmen

Bevor ich meinen Job als Apothekenleiterin antrat, arbeitete ich in den Geflüchtetencamps Zaatari und Azraq, die etwa 85 km nordöstlich von der Hauptstadt Amman entfernt liegen.

Die tägliche Reise dorthin war meine erste Herausforderung als berufstätige Frau in einer traditionellen Gesellschaft. Ich weiß, dass die Menschen um mich herum, Männer wie Frauen, über mich sprachen und ich wurde täglich mit Fragen bombardiert:

"Wie schaffen Sie es, alleine eine so lange Strecke zu reisen?" oder “Wie können Sie Ihre Kinder alleinlassen, um arbeiten zu gehen?". "Wie bewegen Sie sich als Frau unter den Geflüchteten?" und "Werden Sie nicht gemobbt oder gar belästigt?".

All diese Fragen störten mich nicht im Geringsten. Ich war mir sicher, in Kopf und Herz, dass ich das tat, was ich tun wollte.

Schwanger in der Pandemie

Als sich Covid-19 ausbreitete, standen wir Apotheker*innen den Menschen von Anfang an bei, vor allem denen, die uns am dringendsten brauchten. Während der Ausgangssperre, als die meisten Menschen zuhause blieben, waren wir im Einsatz und stellten uns der Pandemie.

Als Covid-19 die Welt eroberte, war ich im siebten Monat schwanger. Und hatte drei zusätzlich schwierige Monate, in denen ich zwischen Arbeit und Zuhause hin und her pendelte.

Ich leugne nicht, dass ich Angst hatte, denn schwangere Frauen sind häufiger von schweren Verläufen der Krankheit betroffen. Auch um mich und meine Kinder zu schützen, habe ich alle notwendigen Präventionsmaßnahmen ergriffen. Desinfektionsmaßnahmen wurden zu einer täglichen Routine.

Die Balance im Leben finden

Meine Tage sind nicht einfach mit Arbeit, Familie und Studium, aber ich habe es geschafft, eine Balance zu finden.

Ich arbeite täglich von acht Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags in der Apotheke. Für meine Kinder nehme ich mir am Tag drei Stunden und ebenso viel Zeit verwende ich auf mein Studium. In der aktuellen Situation lerne ich vor allem online.

Ich bin Masterstudentin und mache einen Abschluss in Humanitärer Praxis an der Universität von Manchester in Großbritannien. Diesen Studiengang kann ich dank eines Stipendiums von Ärzte ohne Grenzen verfolgen, welches ich durch meine Arbeit in der Apotheke bekommen habe – und bewerben musste mich für das Stipendium natürlich, sowie eine Prüfung absolvieren.  

So wurde ich in dieser schwierigen Zeit zu einer Mutter und Studentin, die gleichzeitig noch arbeitet.

Für die Menschen, die mich umgeben, war das ein Schock. Alle hielten mich für schwach, weil ich eine Frau war:  

"Als Frau kann man nicht arbeiten, Kinder erziehen und lernen. Wir sind Männer und wir können nicht all das tun, was ihr tut," sagten sie. Früher musste ich mir häufig Sätze anhören, wie "Du erschöpfst dich" oder "Was willst du von dieser Welt? Kümmere dich um dein Zuhause und deine Kinder" und “Nimm nicht neben deiner Rolle auch die anderer ein.”

Herausforderungen und Inspiration

Meine Arbeit bei Ärzte ohne Grenzen bringt viele Herausforderungen mit sich. Eine davon ist das Thema Reisen oder das, was als "Loslösung" bezeichnet wird, also die Erfahrung, für eine bestimmte Zeit außerhalb des eigenen Landes zu arbeiten.

Die Organisation ebnete mir den Weg für einen Einsatz im Libanon. Ich bewarb mich mit vielen anderen auf die freie Stelle und wurde schließlich ausgewählt. Ich war überglücklich als ich endlich das Visum erhielt. Mein Einsatz war in einer Apotheke im Krankenhaus in Zahle, im Ostlibanon.

Mein Einsatz war DAS Gesprächsthema in meiner Nachbarschaft in Jordanien. Es war ein Schock für sie, dass ich sechs Monate auf Reisen gehen und meine Familie für die Arbeit verlassen würde. Sie fanden mein Verhalten für eine Mutter unangebracht und hatten kein Verständnis für meine Erfolge und Ambitionen.  

Nach meiner Rückkehr aus dem Libanon sagten mir viele meiner jordanischen Kolleginnen, dass ich sie inspiriert und ermutigt habe, auch Arbeitsaufträge anzunehmen, bei denen man reisen muss - das war ein großer Erfolg für mich.

Grenzenloser Ehrgeiz und Unterstützung

Mein Mann ist mein größter Unterstützer. Er ermutigt mich, abenteuerlustig zu sein und betont, dass er in guten und schlechten Zeiten an meiner Seite sein wird.  

Er arbeitet als Journalist und hat einen Doktortitel in arabischer Literatur. Er ist ein offener und selbstbewusster Mann, der meine Arbeit schätzt, sich um mein Glück sorgt und meine Ambitionen fördert. Es ist wichtig zu erwähnen, dass nur wenige Männer in unserem Umfeld ihre Frauen unterstützen, sich weiterzuentwickeln, zu lernen und zu studieren, so wie er das tut.

Zugegeben, der Druck und die Verantwortung zwischen Arbeit, Studium und der Erfüllung von Familienpflichten ist groß. Aber all diese Aufgaben machen mich zu einer lebenslustigen, erfolgreichen Frau und mein Ehrgeiz kennt keine Grenzen.

Mein Motto ist immer gewesen: Wenn ich mich nicht weiterentwickle, werde ich als unglückliche Frau und traurige Mutter enden.

Deshalb werde ich mich immer bemühen die Balance zwischen Familie und Karriere zu halten.