Direkt zum Inhalt

Behandelt die Mittelkürzungen der USA als das, was sie sind: eine humanitäre Katastrophe!

Image
Portrait von Dr. Esther C. Casas und Claire Waterhouse

Dr. Esther C. Casas und Claire Waterhouse

Dr. Esther C. Casas ist Ärztin und leitende HIV-/TB-Beraterin in der medizinischen Abteilung bei Ärzte ohne Grenzen in Südafrika. Claire Waterhouse leitet die “Operations Support Unit” und koordiniert die politische Abteilung in Südafrika.

Lebenswichtige und lebensrettende Gesundheitsdienste zur Bekämpfung von Malaria, Ebola, Mangelernährung, sexueller und reproduktiver Gesundheit (SRG), HIV und Tuberkulose (TB): gestrichen. Impfprogramme und Mittel für weitere kritische Gesundheitsprobleme: gestrichen. Die Regierung der USA hat nahezu tausend Programmen im Bereich der globalen Gesundheit und Entwicklungshilfe die Finanzierung entzogen. Die Mitarbeiter*innen wurden angewiesen, den Betrieb sofort und dauerhaft einzustellen. Wir sind als Ärzte ohne Grenzen zutiefst bestürzt und wütend über die Unmenschlichkeit dieser Entscheidung.*

Die Wirkung: Tod und Leid

Der Wegfall dieser Programme wird unweigerlich zu Todesfällen und Leid führen; dazu, dass Menschen von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen werden und vermeidbare Krankheiten wieder auftreten. Die globale Gesundheitsversorgung war zuvor bereits drastisch unterfinanziert - nun hat sich die Situation verschlimmert: Fast alle unsere Partner und Gemeindegruppen, mit denen wir zusammenarbeiten, sind stark betroffen - viele haben sich sogar aufgelöst und aufgehört zu existieren. 

Wir hören von zahllosen verängstigten und irritierten Patient*innen, die nicht mehr wissen, wo sie Hilfe erhalten können. Oder Studienteilnehmer*innen, deren klinische Studie einfach abgebrochen wurde - und die jetzt nicht wissen, wie es weiter geht. Fachkräfte des Gesundheitswesens, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, wenden sich an uns, immer noch besorgt um das Wohlergehen ihrer Gemeinden. 

Wir sehen die Angst in den Augen unserer Partner, die um das Überleben ihrer Programme und ihrer Patient*innen kämpfen.

In Khayelitsha, Südafrika, wo wir seit mehr als 20 Jahren Programme zur Behandlung von HIV und Tuberkulose unterstützen, wurden nach Angaben unseres langjährigen Partners, der Treatment Action Campaign, die Verträge von Mitarbeiter*innen aus der Datenerfassung, Gemeindegesundheitshilfe, Beratung, Krankenpflege und Medizin ausgesetzt. Eine ähnliche Situation ist in vielen anderen Gesundheitseinrichtungen des Landes zu beobachten. 

Schwer kranke Menschen können nicht mehr behandelt werden

Das Chaos, das durch das fehlende Personal produziert wird, hat direkte Auswirkungen auf die Behandlung von Patient*innen: Es ist inzwischen schwer zu erkennen, wer in einem Gesundheitszentrum Medikamente nachgefüllt bekommen hat oder wer seinen Termin verpasst hat. Die Patient*innen warten nun stundenlang auf HIV-Tests. Und es gibt keine Berater*innen mehr, die sie ordnungsgemäß über die Behandlung informieren und in die Versorgung einbinden könnten. 

Unsere Teams in Simbabwe berichten, dass es einigen von PEPFAR (President’s Emergency Plan for AIDS Relief) finanzierten Organisationen gelungen ist, die HIV-Dienste aufrechtzuerhalten. Doch die Medikamente zur Prävention einer HIV-Infektion (PrEP) können jedoch weiterhin nur in begrenztem Umfang angeboten werden. Derzeit steht PrEP nur denen zur Verfügung, die schon Teil des Programms sind. Neue Patient*innen werden nicht aufgenommen. 

Unsere Teams in der Demokratischen Republik Kongo berichten, dass das von Ärzte ohne Grenzen betriebene Krankenhaus in Kinshasa seit dem 20. Januar nicht mehr mit antiretroviralen Medikamenten beliefert wurde. Für mehr als 2.000 HIV-/TB-Patient*innen besteht dadurch das Risiko, eine Resistenz oder fortgeschrittene HIV-Infektion zu entwickeln und zu sterben, wenn die Lieferungen nicht sofort wieder aufgenommen werden.  Wenn die Vorräte an antiretroviralen Medikamenten nicht bald wieder aufgefüllt werden, besteht außerdem für rund 8.200 Patient*innen, die die Gefahr, dass sie keinen Zugang zu ihrer Behandlung haben: Sie nutzen gemeindegestützte Verteilungsstellen für ihren Bezug von Arzneimitteln. 

Dies sind nur einige Beispiele für schwerwiegende Unterbrechungen bei medizinischen Dienstleistungen in den Ländern, in denen wir tätig sind.

Das Ausmaß der Finanzierungslücke ist enorm

Als Ärzte ohne Grenzen verfügen wir über langjährige Erfahrung in der Behandlung von HIV und Tuberkulose in schwierigen Situationen, einschließlich Konflikten. Wir sind daran gewöhnt, dass die Versorgung unterbrochen wird und wir auf Notfälle reagieren müssen. Doch das Ausmaß der Unterbrechung dieser Programme ist mit nichts vergleichbar, was wir bisher erlebt haben. 

Auf Notsituationen muss man zwar vorbereitet sein, doch aufgrund der Plötzlichkeit dieses Ereignisses hatten Programme, Organisationen und Regierungen keine Chance, angemessen zu planen. Die USA sind der weltweit größte Einzelgeber von Auslandshilfen - sie stellen schätzungsweise 40 % der gesamten humanitären Hilfe bereit. Etwa 70 % der weltweiten HIV-Finanzierung sowie ein Drittel der internationalen Hilfe für Tuberkulose und Malaria kommen aus den USA. 

Die politischen Entscheidungsträger*innen, die diese drastischen Kürzungen vorgenommen haben, sind möglicherweise davon ausgegangen, dass humanitäre Organisationen die Lücken schließen könnten. 
Die Realität ist eindeutig: Ärzte ohne Grenzen ist eine der größten humanitären Organisationen der Welt, doch unsere Kapazitäten reichen bei weitem nicht aus, um das Ausmaß dieser Kürzungen auszugleichen. 

Jahrzehntelanger Fortschritt wird in kurzer Zeit vernichtet

Die Streichung dieser Mittel droht, die unglaublichen Fortschritte bei der Behandlung und Eindämmung von HIV und Tuberkulose zunichtezumachen - mit unmittelbaren und langfristigen Folgen. Kurzfristig ist die Behandlung für die Bedürftigen lebensrettend, längerfristig ist die Pflege ein Eckpfeiler der Prävention. Ohne sie wird die Zahl der Neuinfektionen, auch bei Säuglingen, dramatisch ansteigen.  Die Kürzungen werden auch den Bedarf an fortgeschrittener HIV-Pflege erhöhen. UNAIDS schätzt, dass die dauerhafte Einstellung von PEPFAR ohne Alternativen bis zum Jahr 2029 weltweit zu zusätzlichen 6,3 Millionen AIDS-bedingten Todesfällen führen könnte. 8,7 Millionen neue HIV-Infektionen bei Erwachsenen könnten zu verzeichnen sein.

Wir bei Ärzte ohne Grenzen sind solidarisch mit den Millionen von Menschen, die von diesen Entscheidungen betroffen sind, darunter Menschen mit HIV und/oder Tuberkulose, schwangere Frauen, Kinder, Jugendliche und junge Menschen mit sexuell übertragbaren Infektionen. Wir sind auch besorgt über die negativen Auswirkungen und das Risiko für das Leben bestimmter Bevölkerungsgruppen wie z. B. die LGBTQIA+-Community. Dies gilt auch für andere Gesellschaftsgruppen, die von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen oder auch kriminalisiert werden, wie Sexarbeiter*innen oder Drogenkonsument*innen.

Die Welt braucht diese Finanzierung im Bereich der globalen Gesundheit

Diese Kürzungen können so nicht bestehen bleiben. Neue Geldgeber müssen einspringen, und bestehende müssen sich engagieren. Die Regierungen der betroffenen Länder müssen sich schnell anpassen, um diese Unterbrechungen abzumildern und kritische Lücken zu schließen. 

In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben wir gemeinsam mit zahllosen Organisationen und engagierten Einzelpersonen erlebt, wie Gesundheitskrisen unter Kontrolle gebracht werden konnten. Wir dürfen die harte Arbeit, die Millionen von Menschenleben gerettet hat, nicht zunichtemachen. 

Ärzte ohne Grenzen ist sich darüber im Klaren, dass die Bedrohung, mit der wir heute konfrontiert sind, nicht nur eine globale Gesundheitskrise, sondern auch eine humanitäre Katastrophe ist. Sie erfordert sofortiges Handeln, Zusammenarbeit und einen globalen Ansatz, der das Leben der Menschen über alles andere an die erste Stelle stellt.

 

* Ärzte ohne Grenzen finanziert sich fast ausschließlich aus privaten Spendeneinnahmen. Daher sind unsere Programme nicht direkt von den Kürzungen betroffen. Wir arbeiten jedoch mit anderen Dienstleistern und Partnern zusammen - die Folgen reichen daher auch in unsere Projekte.

Mehr dazu