Panama: Eine flüchtige Atempause nach einer höllischen Reise
Nach zwei Monaten im Darién ist mir klar: Um den Menschen hier die bestmögliche Versorgung zukommen zu lassen, brauche ich vor allem Einfühlungsvermögen, Einfallsreichtum und große Flexibilität. Jeder Tag hier ist anders und wir müssen mitunter sehr spontan auf Dinge reagieren.
Das Wichtigste ist, eine Lösung zu finden
Neulich zum Beispiel waren, wie schon seit einiger Zeit, viele Menschen im Wartezimmer, um ihre Wunden behandeln zu lassen. Mit nur zwei Krankenschwestern in unserem Sanitätszelt am Rande der Auffangstation für Migrant*innen in San Vicente hatten wir nicht die Kapazität, all diese Behandlungen zu übernehmen, also improvisierten wir einige "Behandlungssets". Sie enthielten Mull, ein Stück Seife, eine Salbe (je nach Art der Verletzung wird die Medizin angepasst) und ein schlauchförmiges Netz, das als Verband für die Wunde dient.
Beim Verteilen der Kits erklärten wir unseren Patient*innen, wie sie ihre leichten Wunden mithilfe des Materials reinigen und verbinden können. Mit diesem Vorgehen konnten wir sehr viel mehr Patient*innen versorgen als es in Einzelkonsultationen möglich gewesen wäre und so zur allgemeinen Gesundheitsförderung beitragen.
Gegenseitige Unterstützung
Der Strom an Menschen hat sich seit meinem letzten Bericht weiter vervielfacht: An manchen Tagen kommen aktuell mehr als 1.100 Personen im Auffangzentrum San Vicente an – mit den 300 bis 400 Menschen, die hier im Schnitt übernachten, sind dann rund 1.500 Personen im Camp.
Dadurch, dass der Bedarf an Versorgung so groß ist und wir mit unserer medizinischen Hilfe sehr konkret etwas tun können, vergessen wir aber mitunter, uns auch um uns selbst zu kümmern. Bei Kolleg*innen sehe ich häufig, dass sie sich kaum Zeit zum Essen nehmen oder ganz vergessen zu trinken, weil sie in die Betreuung einer Patient*in nach der anderen vertieft sind.
Für mich ist die Arbeit zuweilen überwältigend: Die Geschichten der Menschen zu hören, zu sehen in welchem Zustand sie bei uns ankommen – mir vorzustellen, was sie durchgemacht haben müssen, ist bedrückend. Unsere Ressourcen sind begrenzt und nicht allen helfen zu können, belastet mich – phasenweise habe ich Alpträume.
Glücklicherweise pflegen wir im Team eine sehr offene Kommunikation, tauschen uns über unsere Erfahrungen aus und unterstützen uns gegenseitig – und auch auf den Psychologischen Dienst von Ärzte ohne Grenzen können wir zählen.
Eine flüchtige Atempause
Eine Beobachtung, die ich hier immer wieder mache, berührt mich zutiefst: Viele Menschen, die zu uns ins Sanitätszelt kommen, suchen nicht nur medizinische Hilfe, sondern vor allem einen sicheren Raum, um zu weinen, um sich gehört und verstanden zu fühlen.
Während der gesamten höllischen Reise durch den Dschungel, und wahrscheinlich schon geraume Zeit davor, waren viele der Migrant*innen nicht nur emotional und körperlich überfordert, sondern hatten auch kaum einmal das Gefühl, dass sich jemand um sie kümmert. Vor allem die Eltern, deren ganze Energie und Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist, dass es den Kindern gut geht und die auch in unsicheren Momenten Stärke zeigen wollen, haben auf dem Weg kaum eine Sekunde Zeit für sich.
Ihr Vertrauen ist ein großes Geschenk
Diese Momente, wenn sie unser Zelt betreten und sich in unserer Gegenwart sicher genug fühlen, um das alles für einen Moment von sich abfallen zu lassen, sind erschreckend und schön. Meist enden diese Begegnungen mit ein paar Tränen, einem leisen Lachen und einem schüchternen Lächeln.
Die Konsultation dient definitiv nicht nur der Behandlung der Patient*innen, sondern auch der Erleichterung ihres Kummers. Ihr Vertrauen ist ein großes Geschenk und motiviert mich jeden Tag erneut.