Schusswunden, holprige Straßen und Fledermäuse unter dem Bett
Ich stehe am Ausgang unseres Krankenhauses und beobachte die Vorbereitungen für die Abreise, während die Taschen verladen werden und die letzten Kontrollen stattfinden.
Wir fahren das erste Mal dieses Jahr von unserem Hauptkrankenhaus in Lankien zu unserem Gesundheitszentrum in Pieri. Etwa 58 Kilometer und eine dreistündige Fahrt nach Süden liegen vor uns. Ich habe eine Tasche mit medizinischer Ausrüstung vorbereitet, um kranke oder verletzte Patient*innen besser stabilisieren zu können.
Die Fahrt nach Pieri
Wir passieren eine Reihe von kleinen Bauernhöfen mit großen Tukuls für das Vieh und kleineren Tukuls mit dekorativen Eingängen, in denen die Familien wohnen. Ein Tukul ist eine lokal weit verbreitete Bauweise: eine runde Grundstruktur, Wände aus Erde und ein Dach aus Stroh. Als wir endlich in Pieri ankommen, hat das Team schon auf uns gewartet. Wir trinken Tee, essen etwas und besprechen noch einmal gemeinsam die Pläne für den Rest des Tages.
In der Trockenzeit flammen oft Kämpfe zwischen bewaffneten Banden auf, die auch Überfälle verüben und Vieh stehlen. Im vergangenen Jahr zum Beispiel war eine unserer Einrichtungen nach einem Kampf so überfüllt mit verletzten Patient*innen, dass einige draußen auf dem Boden schlafen mussten. Ein Hubschrauber flog die ganze Zeit hin und her, um die Verletzten abzuholen, die operiert werden mussten.
Alle packen mit an
Unser Team hier ist äußerst engagiert und arbeitet unermüdlich. Die Kolleg*innen untersuchen eine große Anzahl von Patient*innen aus der Umgebung, und obwohl ihnen nur recht begrenzte Mittel zur Verfügung stehen, sind sie in der Lage, viele Menschen zu versorgen.
Dazu gehören sowohl akute Verletzungen und Infektionen, als auch chronische Krankheiten wie z.B. Bluthochdruck.
Ich genieße die persönliche Zusammenarbeit sehr, denn sonst kommunizieren wir meistens nur über das Satellitentelefon miteinander. Während wir uns unterhalten, wird eine neue Patientin eingeliefert. Ein zweijähriges Mädchen mit schwerer Malaria. Sie ist bewusstlos und hat einen Krampfanfall. Das Team reagiert schnell: Sie wird rehydriert und bekommt ein Medikament gegen Malaria gespritzt. Währenddessen hält ihre Mutter sie fest im Arm.
Sie hingen unter meinem Bett
Abends sitzen wir dann mit einem kalten Getränk in der Hand zusammen und beobachten, wie sich die Vögel in die Bäume zurückziehen und die Sterne am Himmel langsam sichtbar werden. Es gibt weder Strom, noch Netz oder Internet. Es fühlt sich friedlich an.
Als ich in mein Zimmer gehe, scheuche ich die Fledermäuse von ihrem Schlafplatz auf: Sie hingen unter meinem Bett und flattern nun an die Decke. Während ich einschlafe, erinnere ich mich an einen Tipp: Ich solle ein Laken über mein Moskitonetz legen, um mich in der Nacht vor den Fledermäusen zu schützen. Aber ich bin zu müde, um jetzt aufzustehen.
Plötzlicher Notfall
Kaum habe ich die Augen geschlossen, kommt ein Notruf rein: In einem nahegelegenen Ort gab es Kämpfe, der Zustand der angekündigten Patient*innen klingt ernst und wir wissen nicht genau, wie viele Menschen verletzt sind. Dennoch wird es wohl einige Stunden dauern, bis sie es über die holprigen Straßen zu uns schaffen werden.
Zwei Patienten erreichen unsere Klinik: einer mit einer Schussverletzung am Oberschenkel und einer mit einem Schuss in den Unterleib. Glücklicherweise sind sie relativ stabil. Die Kugeln hatten ihre wichtigsten Organe verfehlt.
Wir verabreichen ihnen intravenös Antibiotika und Flüssigkeit, während ihre Angehörigen besorgt an ihren Betten stehen. Der dienstleitende Arzt übernimmt die Behandlung, und ich gehe dankbar zurück ins Bett, um noch ein paar Stunden zu schlafen.
Per Flugzeug in den OP-Saal
Der nächste Tag beginnt mit einer erfrischenden Dusche aus einem Eimer und einem kleinen Frühstück. Danach schließe ich mich direkt dem Team an, um mit der Visite der Patient*innen zu beginnen. Den beiden verletzten Patienten geht es den Umständen entsprechend gut, aber ich mache mir Sorgen um den Mann mit der Schussverletzung im Unterleib. Wir fliegen beide Patienten für eine dringende Operation ins nächste Krankenhaus.
Auf dem Weg zurück
Nach dem Mittagessen wird es für uns Zeit, die Rückreise nach Lankien anzutreten, denn wir müssen vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein. Ich besuche nochmal das kleine Mädchen, das an Malaria erkrankt ist. Sie knabbert genüsslich an einem Keks, den ihr Bruder ihr mitgebracht hat und wird sich wahrscheinlich vollständig erholen.
Und schon sind wir wieder auf der Straße und holpern zurück nach Norden. Hinter uns wirbelt eine Staubfahne.