Südsudan: Hilfe durch die Luft
Rettung durch die Luft
Ich habe mich schon immer für Flugzeuge interessiert. Als Kind beobachtete ich ehrfürchtig, wie sie über den Himmel zogen. Aber meine Eltern hatten andere Vorstellungen von meiner beruflichen Zukunft. Ich stamme aus Kenia. Mein Vater wollte, dass ich mich mit dem Schutz von Wildtieren beschäftige und meine Mutter, dass ich Bankkauffrau werde. Letztendlich machte ich doch, was ich wollte - und sie änderten ihre Meinung. Mein Vater sagte mir, dass er mich unterstützen würde, wenn ich damit glücklich werde. Also absolvierte ich eine Ausbildung in der Luftfahrt und spezialisierte mich auf die Bereiche Betrieb und Abfertigung sowie auf Flugsicherheit und Qualität.
Fliegen ist in der humanitären Hilfe sehr wichtig
Heute koordiniere ich als stellvertretende Flugkoordinatorin bei Ärzte ohne Grenzen Flüge in den entlegensten Gebieten der Welt und rette auf diese Weise Menschenleben. Denn viele der Gebiete, in denen wir arbeiten, verfügen über kein Straßennetz und sind somit schwer erreichbar. Außerdem bringt die Regenzeit jedes Jahr tückischen Schlamm mit sich, in dem Autos regelrecht versinken. Dennoch müssen lebensrettende Hilfsgüter unsere Krankenhäuser erreichen und schwerkranke Patient*innen müssen zur zeitnahen Versorgung ins Krankenhaus gebracht werden. Da kommen dann ich und meine Kolleg*innen ins Spiel.
Aber nochmal kurz zurück: Nach meiner Ausbildung arbeitete ich erst für ein lokales Luftfahrtunternehmen in Nairobi. Dort erhielt ich eines Tages eine Anfrage von Ärzte ohne Grenzen. Die Mitarbeiter*innen brauchten ein Flugzeug, um medizinische Hilfsgüter zu transportieren. Später fand ich heraus, dass die Organisation auch über langfristig gemietete Flugzeuge verfügt. Das brachte mich zum Nachdenken.
Ich wollte mit meiner Arbeit das Leben von Menschen verbessern.
2019 bewarb ich mich schließlich bei Ärzte ohne Grenzen und wurde noch im selben Jahr Mitglied des Teams. Seitdem habe ich vier Einsätze als Flugkoordinatorin im Südsudan und in der Demokratischen Republik Kongo absolviert.
Meine Arbeit umfasst verschiedene Aspekte: Ich erstelle die Flugrouten, die unsere Mitarbeiter*innen zu den jeweiligen Projekten bringen. Außerdem arbeite ich als sogenannte Dispatcher, das heißt, ich plane und leite unsere Flugeinsätze so, dass sie möglichst effektiv und reibungslos verlaufen. Zudem bin ich für die Fluglogistik zuständig, also für das fachgerechte Be- und Entladen der Fracht.
”Diese Freude in ihren Gesichtern ist es, was mich antreibt”
Letztes Jahr erhielten wir einen Anruf von unserem Team in Malakal, einer Stadt im Süden des Südsudan in einem abgelegenen Gebiet. Es ging um eine schwangere Frau, die einen Geburtsstillstand hatte – ein medizinischer Notfall.
Die Frau brauchte dringend einen Kaiserschnitt, damit wir ihr Leben und das ihres Babys retten konnten. Dazu mussten wir sie schnellstmöglich in unser Krankenhaus in Agok verlegen, eine Ortschaft in der Sonderverwaltungszone Abyei. Wir organisierten also den Flug, so dass sie sicher entbinden konnte. Später koordinierten wir einen weiteren Flug, um sie und ihr Neugeborenes sicher nach Hause zu bringen.
Die Gefühle, die die Patientin uns gegenüber zum Ausdruck brachte, und die Genugtuung, die ich nach einem solchen lebensrettenden Flug empfinde, übersteigen jede Vorstellungskraft und sind unvergesslich.
Ein andermal sollte ich einen kleinen Jungen zurück zu seiner Familie bringen. Er hatte davor einen ganzen Monat lang im Krankenhaus gelegen. Ich weiß noch, wie froh seine Angehörigen waren, ihn endlich wiederzusehen. Diese Freude in den Gesichtern der Menschen, die wir mit unserer Arbeit unterstützen können, ist es, was mich antreibt.
Arbeiten auf einer Insel im Nil
Im Südsudan müssen wir immer wieder auch auf Krankheitsausbrüche reagieren, wir führen große Impfkampagnen durch, bieten die nötige Versorgung für Mütter und Kinder an und tragen unser medizinisches Hilfsangebot in die Gemeinden.
Für all diese Aktivitäten sind Flugzeuge unerlässlich. Aufgrund der schlechten Infrastruktur, der Unsicherheit und der saisonalen Überschwemmungen ist der Straßentransport im Südsudan nur begrenzt möglich. Oder aber, es gibt gar keine Straßen, wie in Old Fangak, wo ich gerade arbeite. Die Stadt liegt auf einer kleinen Insel im Nil. Erreichbar ist sie nur per Boot – und es gibt eine kleine Landebahn.
Mit unseren Flugzeugen transportieren wir nicht nur Patient*innen, sondern sorgen auch dafür, dass Ärzt*innen sowie medizinische Hilfsgüter zu den Menschen gelangen können.
Viele Herausforderungen
Der Südsudan ist ein sehr schwieriges Umfeld für meinen Beruf: Die Standards in der Luftfahrt sind niedrig. Die Landebahnen in der Region sind von dichten Wäldern umgeben und die Flugsicherheit ist nicht gerade optimal.
Was meine Arbeit aber besonders interessant macht, ist, dass die Branche von Männern dominiert ist. Eine Frau im Bereich der Logistik und insbesondere in der Luftfahrt zu sein, ist eine große Herausforderung, die ich mit Mut und Entschlossenheit meistere.