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Wie Deutschlands Strategie Tuberkulose zu beenden deutlich effektiver sein könnte

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Portrait von Jasmin Behrends

Jasmin Behrends

Ich arbeite in der politischen Abteilung von Ärzte ohne Grenzen zum Zugang zu Medikamenten und globaler Gesundheitspolitik.

Tuberkulose (TB) mag vielen als Krankheit der Vergangenheit gelten. Unter dem Namen “Schwindsucht” kennen manche sie hierzulande vielleicht noch aus Büchern oder im Zusammenhang mit den Lungensanatorien des späten 19. Jahrhunderts. Tatsächlich ist sie aber noch immer eine der tödlichsten Infektionskrankheiten der Welt, allein 2022 sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1,3 Millionen Menschen an Tuberkulose gestorben. Hohe Todeszahlen und die Ausbreitung resistenter Formen sind besonders in Ländern mit mittlerem und geringem Einkommen ein akutes Problem der Gegenwart.

Die Weltgemeinschaft hat sich zwar zum Ziel gesetzt, die Tuberkulose bis 2035 zu beenden, realistisch ist das aber nicht. Und das, wo doch Medikamente und Tests existieren, um die Krankheit erfolgreich zu diagnostizieren und zu behandeln. Das Problem: Genau diese lebensrettenden Produkte sind für die Menschen, die sie am meisten brauchen, häufig nicht zugänglich.  

Hohe Preise verhindern Diagnose und Heilung

Ärzte ohne Grenzen ist der größte nicht-staatliche Anbieter von Tuberkulose-Behandlungen weltweit. Bei der Versorgung unserer Patient*innen erleben wir täglich die Probleme beim Zugang zu effektiven Medikamenten und Tests. So werden nur zwei von drei Menschen mit Tuberkulose überhaupt diagnostiziert und erhalten entsprechend eine Behandlung. Bei Kindern unter 5 Jahren bleiben sogar 60 Prozent der Tuberkuloseinfektionen unentdeckt – und damit unbehandelt. Da Tuberkulose ansteckend ist, führt das zur weiteren Ausbreitung der Krankheit.  

Die Lücken in der Tuberkuloseversorgung haben viele Ursachen. Ein Hauptgrund aber, warum die Versorgung nicht stärker ausgeweitet werden kann, sind die unverhältnismäßig hohen Preise für Tests und Medikamente. Und Pharmaunternehmen bleiben den Nachweis schuldig, ob und wie sich diese Preise rechtfertigen lassen. Primär werden sie unter der Prämisse der Profitmaximierung veranschlagt und nicht im Verhältnis zu den Kosten für Forschung, Entwicklung und Produktion.

Warum das Deutschland etwas angeht

Die deutsche Bundesregierung unterstützt seit vielen Jahren Maßnahmen zur weltweiten Eindämmung der Tuberkulose. Eine Säule dieses Engagements sind Zahlungen an den sogenannten Globalen Fonds. Dieser hilft Staaten mit mittlerem und geringem Einkommen beim Kauf von Medikamenten und Tests und weiteren Maßnahmen zum Aufbau widerstandsfähigerer Gesundheitssysteme.

Deutschland ist weltweit der viertgrößte Geber des Globalen Fonds und hat seit seiner Gründung 2002 mehr als 4 Milliarden Euro eingezahlt, inklusive 1,3 Milliarden für den aktuellen Finanzierungszeitraum 2023-2025. Unbegreiflich ist, dass Deutschland bei diesen Investitionen nicht auf maximale Effektivität achtet. Denn es liegt auf der Hand: Bei angemessenen und damit günstigeren Preisen könnten mit diesem Geld deutlich mehr Medikamente und Tests finanziert werden, die dabei helfen, Menschenleben zu retten.

Das Engagement der Bundesregierung für den Globalen Fond bleibt auch in Zukunft unverzichtbar für Länder mit mittlerem und geringem Einkommen – warum aber gibt sich die Bundesregierung mit einer mittelmäßigen Wirkung zufrieden, wenn sie mit der Investition viel mehr Menschenleben retten könnte?

Preise sind ein mächtiger Hebel

Eine Entwicklung im vergangenen Jahr hat gezeigt, welchen immensen Effekt es haben kann, wenn Preise gesenkt werden:  

Ein wichtiger und weit verbreiteter Test zur Tuberkulose-Diagnose ist der GeneXpert-Test des US-Unternehmens Cepheid, das zum Investmentkonzern Danaher gehört. Dieser Test wird von der WHO für die Diagnose von Tuberkulose empfohlen, und die meisten Länder mit mittlerem und geringem Einkommen sind für eine genaue Diagnose von Tuberkulose auf diesen Test angewiesen. Auch wir bei Ärzte ohne Grenzen verwenden den GeneXpert-Test in unseren Projekten, um Tuberkulose aber auch HIV-Infektionen oder Hepatitis bei unseren Patient*innen festzustellen.  

Bis September 2023 lag der Preis für einen GeneXpert-TB-Test von Cepheid bei 9,98 US-Dollar pro Stück, für extrem resistente Tuberkulose sogar bei 14,90 US-Dollar. Auf Druck der Zivilgesellschaft und Aktivist*innen weltweit senkte Cepheid im vergangenen Jahr den Preis pro TB-Test auf 7,97 US-Dollar. Dadurch spart der Globale Fonds jährlich mehr als 30 Millionen US-Dollar beziehungsweise kann 3,6 Millionen mehr TB-Tests pro Jahr anbieten.  

Doch das ist bei weitem nicht genug. Denn GeneXpert-Tests für andere Krankheiten wie extrem resistente Tuberkulose und HIV-Infektionen sind nach wie vor überteuert. Eine Analyse von Ärzte ohne Grenzen hat 2019 ergeben, dass die Herstellung eines GeneXpert-Tests Cepheid weniger als 5 US-Dollar kostet, während das Unternehmen von Ländern mit mittlerem und geringem Einkommen mindestens das Dreifache dieses Preises verlangt. In einem europäischen Land wie Polen liegen die Preise sogar bei 50-100 US-Dollar.  

Einige Länder zahlen doppelt

Wie viele andere Pharmaunternehmen für ihre Produkte, hat auch Cepheid erhebliche öffentliche Mittel für die Entwicklung der GeneXpert-Technologie erhalten. Gleichzeitig weigern sie sich wie andere Pharmaunternehmen auch, ihre Produktionskosten und die für Forschung und Entwicklung erhaltenen öffentlichen Investitionen transparent und die Preisgestaltung nachvollziehbar zu machen.  

In der Konsequenz bezahlen einige Länder doppelt: Zunächst durch die finanzielle Unterstützung der Forschung und Entwicklung medizinischer Produkte und dann durch die Zahlung überhöhter Preise, wenn diese Produkte auf dem Markt sind.  

Fairer Ausgleich zwischen Industrieinteressen und Gesundheitsbedürfnissen

Das Beispiel der GeneXpert-Tests verdeutlicht, warum ein politischer Rahmen notwendig ist, der von Anfang an für mehr Transparenz sorgt – und dadurch sicherstellt, dass der Zugang für Menschen in Ländern mit mittlerem und geringem Einkommen bei allen Produkten mitgedacht wird. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, ist, öffentliche Gelder nur unter der Bedingung an Pharmaunternehmen zu vergeben, dass die damit entwickelten Produkte später bezahlbar und die Preise transparent sind.  

So könnte die deutsche Bundesregierung gewährleisten, dass öffentliche Gelder für die öffentliche Gesundheit und nicht für private Gewinnmaximierung verwendet werden. Und gleichzeitig wäre damit garantiert, dass die dringend benötigten Mittel des Globalen Fonds maximal effektiv eingesetzt werden.

Stichwort Transparenz: Cepheid hat zugestimmt, im Laufe dieses Jahres eine unabhängige Überprüfung der Produktionskosten der GeneXpert-Tests durchführen zu lassen. Damit dürfte die Frage geklärt werden, ob der neue Preis für TB-Tests, 7,90 US Dollar, wie Cepheid behauptet verhältnismäßig ist, oder der von uns verlangte Preis von 5 US Dollar. Damit das Ergebnis aber tatsächlich verlässlich und nachvollziehbar ist, müssen auch die für diese Analyse verwendeten Methoden öffentlich gemacht werden. Sonst wird auch diese Analyse nicht mehr Aufschluss darüber geben, wie der neue Preis der Tests zustande kommt. Und auch hier, hat die Politik, hat Deutschland eine gewisse Wirkungsmacht, die sie nutzen sollte.

Politische Rahmenbedingungen können eine Balance zwischen den Interessen der Unternehmen und den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen schaffen, deren Leben vom Zugang zu medizinischen Produkten abhängt, insbesondere der Menschen in ärmeren Ländern. Denn der Zugang zu Medikamenten und Tests sollte kein Luxus sein.