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Deutsche Außenpolitik in der Krise

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Philipp Frisch

Philipp Frisch

Ich leite die politische Abteilung von Ärzte ohne Grenzen. Teil der Organisation bin ich seit 2009. Zusätzlich zu meiner Arbeit in Berlin, war ich in Simbabwe, Swasiland, Tigray und der Ukraine als Humanitarian Affairs Advisor im Einsatz.

Wertebasiert, verlässlich, teamfähig - so will die Bundesrepublik in ihrer Außenpolitik gesehen werden. Aber es tun sich gewaltige Risse auf zwischen Realität und Erzählung. Und das schadet der außenpolitischen Glaubwürdigkeit und damit den Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung auf internationalem Parkett. 

Im Ausland empfindet man Deutschlands außenpolitisches Auftreten als wohltuenden Gegenentwurf zu den verschiedenen Ausprägungen von „Country XYZ first“. Dazwischen immer wieder Selbstbeschreibungen wie „ehrlicher Makler“ im Kontext des Libyen-Prozesses oder „Global Public Health Champion“. Und für die Entscheidung, 2015 die Grenzen nicht zu schließen, wird Bundeskanzlerin Merkel noch heute im Ausland (nicht ganz zurecht) gefeiert.  

Dieses selbst gemalte Bild hält jedoch an vielen Stellen einer genaueren Betrachtung nicht stand. 

Wertebasiert ist das neue realistisch 

Setzt man sich für eine menschenrechtsbasierte und humane Außenpolitik ein, die insbesondere das Schicksal der Schwächsten im Blick hat, sieht man sich schnell mit dem Vorwurf der Naivität konfrontiert. Außenpolitik, heißt es dann, sei hauptsächlich bestimmt von Rationalität und Eigeninteressen. Etwas anderes zu erwarten sei geradezu infantil.  

So oder so ähnlich klingt es oft, wenn ich mit außenpolitischen Entscheidungstragenden spreche. Aus meiner Perspektive ist dieser vermeintliche Gegensatz Quatsch. In Wahrheit kann die deutsche Außenpolitik überhaupt nur dann Wirkung entfalten, wenn sie konsistent und glaubwürdig ist.  

Dafür ist es sogar zwingend, dass die mit ihr beauftragten Politiker*innen menschrechtsbasiert und human handeln – anderenfalls berauben sie sich der eigenen Legitimität und die Außenpolitik bleibt wirkungslos.   

Was zählt sind Taten 

„Afrika wird nicht vergessen, wer sich in der Stunde der Not gegen uns gestellt hat“, schreibt der Erzbischof von Kapstadt Thabo Makgoba beispielsweise in der FAZ zur deutschen Blockade des Antrags, Patente auf Covid-19-Impfstoffe und -Medikamente auszusetzen. Die Bunderegierung weigert sich weiterhin beharrlich, dieses Vorhaben sowie den Technologientransfer für lebenswichtige Sars-Cov-2-Impfstoffe in Länder des Globalen Südens zu unterstützen, um die globale Pandemie auch global bekämpfen zu können. Makgoba vergleicht hier zutreffend: „Dieser von Gier getriebene Ansatz hat versagt, als Millionen Menschen an HIV und Aids starben. Derselbe Ansatz verknappt nun künstlich die Impfstoffe.”  

Damit isoliert sich Deutschland nicht nur international - selbst die USA, die seit jeher entschlossen geistige Eigentumsrechte verteidigen, unterstützen den Vorschlag mittlerweile in Teilen - die Bundesregierung wird auch ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht. Ein Schelm wer denkt, das läge daran, dass es diesmal tatsächlich auch um deutsche Firmen und Interessen geht. Was aber ist ein deutscher „Global Health Champion“ wert, wenn er derart unzuverlässig ist? 

Humanitäre Superpower?  

Genau das ist dann auch der Knack- und Schwachpunkt der bundesrepublikanischen Außenpolitik: Ihr Einfluss basiert ganz zentral auf Glaubwürdigkeit. Daher ist es so fatal, wenn diese verloren geht.   

Und genau das droht aktuell. Nicht nur, weil die Regierung, unter der die deutsche Humanitäre Hilfe Rekordwerte von mehr als zwei Milliarden jährlich erreicht, auch Rüstungsausfuhren von insgesamt 22,5 Milliarden Euro genehmigt hat, sondern, weil die unmenschlichen Zustände in den gefängnisähnlichen Camps auf den griechischen Inseln und dem Festland und die mehr als 1.500 Toten im Mittelmer alleine in diesem Jahr (Stand Ende Oktober), das Gegenteil von Menschlichkeit und Solidarität belegen.  

Dabei bleibt nicht nur die Moral und die Menschlichkeit auf der Strecke – Deutschland zerstört auch die notwendigen Voraussetzungen, um überhaupt Einfluss zu nehmen: Integrität und Glaubwürdigkeit.  

Mit seiner Außenpolitik ist Deutschland eben auch das: ein Treiber für Abschreckung, Abschottung, Finanzier eines Kreislaufs aus Gewalt und Ausbeutung in Libyen und ein Unterstützer inhumaner Behandlung einer Gruppe von Menschen, die zu den Verwundbarsten überhaupt gehören.

It takes two to tango 

Was daran interessengeleitet sein soll, erschließt sich mir nicht. Im Gegenteil. Wenig wohlmeinende Nachbarn haben längst verstanden, wie verwund- und erpressbar die EU an dieser Stelle ist. Jüngstes Beispiel dafür ist die humanitär desaströse Situation an der polnisch-belarussischen Grenze. 

Auch hier sind Politiker*innen schnell damit, zu beklagen, wie moralisch verkommen diese Instrumentalisierung von Geflüchteten doch sei. Die Frage, warum sich der reichste Staatenverbund der Erde mit mehr als 500 Millionen Einwohner*innen von wenigen Tausend frierenden und verängstigten Menschen in Lebensgefahr bedroht sieht, scheint sich bei all dem niemand ernsthaft zu stellen.  

Moralische Bankrotterklärung meets Eigentor.  

Und jetzt? 

Deutschland hat ein wohlverstandenes Eigeninteresse an einem kohärenten außenpolitischen Profil. Eines der wichtigsten Güter in diesem Bereich ist das der Glaubwürdigkeit. Und Deutschland besitzt das Potential außenpolitisch eine überaus konstruktive und positive Rolle in der zivilen Bearbeitung von Konflikten, der Stärkung einer prinzipiengeleiteten Humanitären Hilfe und in der Verbesserung der globalen Gesundheit zu spielen.  

Auch deshalb wünsche ich mir von der neuen Bundesregierung mehr Mut zu einer tatsächlich wertebasierten Außenpolitik. Die Unterstützung eines europäischen, staatlichen Seenortrettungsprogramms, die Abschaffung der Lager an den Außengrenzen Europas sowie eine tatsächliche Unterstützung einer bedarfsorientierten globalen Verteilung und Produktion von Covid-19-Impfstoffen wären ein guter Start.