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Unser Weg nach Mossul

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Oliver Barth

Oliver Barth

Ich bin Redakteur mit einem Schwerpunkt auf audiovisueller Kommunikation im Berliner Büro von Ärzte ohne Grenzen.

Als wir den Ortsrand von Mossul passieren und an einer Kreuzung stoppen, erklärt uns der Fahrer, dass sich die Stadt in zwei Bereiche teilt: Rechts neben uns liegt Ost-Mosul, wir biegen in den westlichen Teil der Stadt ab. Wir wissen, dass hier die Kämpfe am schwersten waren - dass acht zermürbende Monate lang Peschmerga, irakische und amerikanische Streitkräfte sowie die sogenannten Popular Military Forces die Stadt von der Gruppe Islamischer Staat zurückerobert haben, 2016 bis 2017. Das Ausmaß der Zerstörung, konnten wir uns bis dahin aber nicht vorstellen.   

Wir überqueren den Tigris und fahren langsam in die Stadt hinein.  Auffällig schwer bewaffnete Polizisten am Straßenrand, immer wieder Checkpoints. Wir wurden gebrieft, wie wir uns hier verhalten sollen: Sonnenbrille ab, Handy weg, nicht untereinander sprechen.  

Wir sehen Läden, Tankstellen, Geschäfte, Menschen – und fast jedes Haus hat Einschusslöcher, meist um die Fenster herum, den Eingang, über die ganze Front hinweg.  

Dabei denke ich darüber nach,  dass all diese Kugeln nur ein Ziel hatten: Menschen. 

Aus der Quarantäne direkt mitten rein ins Geschehen

Ich bin mit zwei Kolleg*innen hier, um Material für unsere diesjährige Fundraising Kampagne zu sammeln. Nach einer Woche Quarantäne in Erbil, sind wir heute früh abgeholt und nach Mossul gebracht worden und sind jetzt mittendrin. 

Nach einem kurzen Stopp im Krankenhaus und ein paar Briefings starten wir mit zwei irakischen Kollegen in die Altstadt. Wieder vorbei an Militär, öffentlichem Leben, größeren ungenutzten Flächen.  

Die Straßen werden enger, die Stadt rückt näher.  Aus dem Augenwinkel sehen wir die ersten zerbombten Häuser; meist zwei- oder dreistöckig, die Obergeschoße eingedrückt. Vereinzelt sehen wir Anzeichen, dass in den weniger beschädigten Teilen wieder jemand wohnt, unten richten sich hier und da ein paar Läden ein. 

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Ein paar Jungen spielen auf den Straßen Mossuls mit einem Tischkicker
Die Altstadt Mossuls liegt in weiten Teilen in Trümmern - doch das Leben kommt mehr und mehr zurück.
© Peter Bräunig

Wir biegen um ein paar Kurven, das Bild wird klarer: Häuser, die einmal massiv und prächtig gewesen sein müssen, wurden schwer getroffen. Wir sehen sehr genau, wo eine Explosion Beton brach und Stahl verbog, wo etwas Mächtiges von oben eingeschlagen sein muss. Fast wie eingefroren im Moment, so als wäre es eben passiert. Nur der Dreck und graue Staub verraten, dass es schon länger so ist.

Wir halten an und steigen aus, vor uns die Reste der Al-Nuri Moschee: Der IS sprengte den über 1000 Jahre alten Bau, heute richtet man sie wieder auf. Wir laufen weiter, machen Aufnahmen, reden mit unseren Kollegen. Die Runde endet am ehemals größten Krankenhaus der Stadt, ein riesiger Bau - völlig zerstört.

Mut und Hoffnung

Aber wir begegnen Menschen, die all dies hinter sich lassen wollen. Das Leben hier war niemals weg, es wurde mit furchtbaren Mitteln unterdrückt, jetzt kommt es zurück.  

Gerade in unseren Projekten spüre ich den Mut und die Hoffnung, die auch unsere Arbeit auszeichnet: Wir haben mit vielen jüngeren Kolleg*innen gesprochen, mit Hebammen, Elektrikern, Cleanern, der Assistenz der Projektkoordinatorin, mit Ärzt*innen und Logistikern. 

Die Menschen, mit denen wir sprechen, beantworten unsere Fragen mit großer Offenheit, was mich sehr beeindruckt. Und trotz ihrer Erlebnisse spüre ich in jedem und jeder Stärke und Lust auf Zukunft. Sie alle sind in Mossul groß geworden und wollen Mossul wieder zu einem Ort machen, der ihnen all das bietet, was sie sich für ihr Leben wünschen. 


Aus ihrer Arbeit bei Ärzte ohne Grenzen ziehen viele Motivation, sie gibt ihnen Inspiration, Perspektiven und Hoffnung, dass es anders werden kann. Ich bin stolz zusammen mit diesen Menschen für unsere Organisation arbeiten zu dürfen.