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Keine Patente in der Pandemie!

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Elisabeth Massute

Elisabeth Massute

Ich arbeite in der politischen Abteilung von Ärzte ohne Grenzen und bin Expertin für den gerechten Zugang zu Medikamenten.

Am 2. Oktober 2020 haben Indien und Südafrika bei der Welthandelsorganisation (WTO) einen richtungsweisenden Antrag eingereicht: Geistige Eigentumsrechte, zum Beispiel Patente, auf Covid-19-Technologien, beispielsweise Impfstoffe, Medikamente und Diagnostika, sollen für die Zeit der Pandemie ausgesetzt werden können.

Wenn der Vorschlag angenommen wird, könnte er einen enormen positiven Effekt auf die globale Gesundheit haben und die Eindämmung des Virus effektiver und gerechter gestalten. Denn Globale Solidarität heißt auch, jede Barriere für gerechten Zugang zu Gesundheitsversorgung abzubauen. Dieser Vorschlag geht dabei einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung.

Diese Pandemie ist erst vorbei, wenn sie für alle vorbei ist.

Hier sind sechs Gründe, warum jeder und jede und insbesondere die Regierungen aller Länder dieses Vorhaben unterstützen sollten:

1. Engpässe sind vermeidbar

Der weltweite Zugang zu Impfstoffen und Medikamenten wird bisher durch die Vergabe von Patenten geregelt und diese wiederrum beruhen auf der Grundidee des geistigen Eigentums. Viele werden den Begriff "geistiges Eigentum" aus Bereichen wie der Literatur oder der Musik kennen. Wussten Sie aber, dass geistiges Eigentum auch Geschäftsgeheimnisse, gewerbliche Muster und Modelle sowie den Schutz des Urheberrechts einschließt? Das bedeutet, dass neben Medikamenten und Impfstoffen auch medizinische Ausrüstung wie z.B. Masken, Beatmungsgeräte und andere lebenswichtige Ausrüstungen nicht einfach nach Bedarf produziert werden können.

Behandlungsanbieter und Regierungen müssen sich mit den einzelnen Inhaber*innen dieser Rechte auseinandersetzen und langwierige Verhandlungen führen. Gerade in der Covid-19 Pandemie ist das wichtige verlorene Zeit, denn besonders in den Spitzenzeiten der Pandemie gab es schon einen enormen Mangel an existenziellen medizinischen Materialien und Geräten: Sie erinnern sich vielleicht an die Masken, die Anfang des Jahres plötzlich knapp waren. Oder an die Berichte aus Italien, als im Land zu wenig Beatmungsgeräte zur Verfügung standen.

Mit dem Antrag von Indien und Südafrika würden diese Barrieren für die Dauer der Pandemie wegfallen: es könnte schneller, günstiger und vor allem nach Bedarf weltweit produziert werden. Das hätte wiederrum viele positive Effekte auf die Eindämmung der Pandemie. Vor allem aber würden erkrankten Menschen weltweit lebensrettende Behandlungen rechtzeitig zur Verfügung stehen und auch die Prävention und Teststrategien könnten besser funktionieren.  

2. Covid-19-Medikamente müssen allen zur Verfügung stehen

Patente erlauben die Bildung von Monopolen: Hat ein Pharmakonzern das alleinige Recht an einem Medikament oder Impfstoff, kann er den Preis frei festlegen. Patente verhindern auch, dass sogenannte Generika produziert werden können: Arzneimittel, die bei gleicher Zusammensetzung und Wirkung nicht den Markennamen tragen, deshalb um Einiges günstiger im Preis und damit auch für Menschen mit geringerem Einkommen bezahlbar sind.

Jedes Medikament, jeder Impfstoff und jedes medizinische Hilfsmittel für Covid-19 sollte für alle, die es benötigen, bezahlbar und zugänglich sein.

3. Transparenz und Fairness fordern

Alle Regierungen, auch die deutsche, investieren gerade große Summen in die Wissenschaft. Bereits vor Beginn der aktuellen Pandemie gab es Schätzungen, dass staatliche Finanzierung in einigen Ländern zwei Drittel der Kosten, die in die Entwicklung von Arzneimitteln steckt, ausmacht.* Und gerade jetzt in der Pandemie werden noch einmal zusätzliche öffentliche Gelder für die Covid-19-Forschung zur Verfügung gestellt.

Das ist wichtig und richtig. Patente und exklusive Lizenzen machen am Ende aber möglich, dass ein Pharmakonzern für den mit diesen Geldern entwickelten Impfstoff hohe Profite einfährt. Die Bürger*innen bezahlen also dreimal: Durch ihre Steuergelder für die Grundlagenforschung, durch Steuergelder, die speziell zur beschleunigten Entwicklung von Arzneimitteln gegen Covid-19 investiert werden und letztendlich beim Kauf der Produkte.

Es muss mehr Transparenz darüber geben, wieviel öffentliche Gelder in einem entwickelten Produkt stecken. Warum sollten Pharmakonzerne durch Patente horrende Gewinne machen, deren Entwicklung anteilig oder ausschließlich mit Hilfe von Steuergeldern der Patient*innen entwickelt wurden – und Menschen wegen des hohen Preises vom Zugang ausschließt?

4. Ressourcen effektiv nutzen

Aktuell wird in vielen Ländern parallel an Impfstoffen und Behandlungsmethoden für Covid-19 gearbeitet. Im Kontext einer globalen Pandemie ist es eine absurde Verschwendung von Ressourcen hier im Alleingang erfolgreich sein zu wollen. Würden Forschungsergebnisse und Erkenntnisse schnell geteilt und anderen Wissenschaftler*innen zur Verfügung gestellt, könnten wir das Virus sehr viel effektiver bekämpfen.

Es wird keinen Pharmakonzern geben, der es allein schafft den riesigen weltweiten Bedarf für Covid-19-Impfstoffe oder -Medikamente zu decken.

Die globale Produktion muss massiv ausgeweitet werden. Knowhow und Technologien müssen effektiver geteilt werden. Das Problem: Patente und Intransparenz. Für uns alle ist ein schneller und gerechter Zugang dringend notwendig, um mehr Leben retten zu können.

5. Kontrolle in verantwortungsvolle Hände legen

Vom guten Willen der Pharmakonzerne abhängig zu sein, ist in einer globalen Pandemie keine akzeptable Lösung.

Gilead, der Patentinhaber von Remdesivir (das bisher einzige Medikament, das speziell für die Behandlung von Covid-19 zugelassen ist), hat den Preis für eine 10-tägige Behandlung** in den meisten Ländern auf 2.340 US-Dollar festgesetzt. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass es für nur 9 US-Dollar pro Behandlung hergestellt werden kann. Es könnte also 250-mal günstiger sein. Zusätzlich wurden für die Entwicklung des Medikaments mehr als 70 Millionen US-Dollar aus Steuergeldern bereitgestellt.

Pharmakonzerne verfolgen naturgemäß wirtschaftliche Interessen. Durch die Aussetzung geistiger Eigentumsrechte auf medizinische Instrumente zur Behandlung und Prävention von Covid-19 können wir die Kontrolle in die Hände von Akteur*innen legen, die das Gemeinwohl anstatt wirtschaftliche Interessen verfolgen. Die Regierungen haben die Chance, den Vorschlag von Indien und Südafrika zu unterstützen und die Gesundheit der Menschen über die Profitinteressen der Pharmakonzerne zu stellen.

 
6. Globales öffentliches Gut als Zeichen internationaler Solidarität

Von vielen Politiker*innen, auch Kanzlerin Angela Merkel, wird seit Beginn der Pandemie betont, dass ein Impfstoff als "globales öffentliches Gut" gelten muss.

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen dieses Versprechen einzulösen.
Der Vorschlag Indiens und Südafrikas sieht vor, dass die Aussetzung von geistigem Eigentum so lange gilt, bis der größte Teil der Menschheit die Immunität gegen Covid-19 erreicht hat. Zentral dabei ist, dass kein Unterschied zwischen Ländern des Globalen Südens und Nordens gemacht wird.

Es darf nicht sein, dass jemand ohne Vorerkrankungen oder erhöhtes Risiko, hier in Deutschland geimpft wird, wenn Pflegekräfte, die, beispielsweise in Peru, auf Intensivstationen tagtäglich einem ungleich höheren Risiko ausgesetzt sind, den Impfstoff noch nicht erhalten haben.

Nach Dringlichkeit und medizinischem Bedarf zu agieren ist in einer Pandemie absolut notwendig für eine schnelle Lösung – weltweit.

 
Die Pandemie ist ein globales Problem

Der schnellste und effizienteste Weg, sie zu beenden, ist, wenn jeder und jede so schnell wie möglich Zugang zu den benötigten medizinischen Hilfsmitteln hat. Die globale Gesundheit muss im Vordergrund stehen und nicht, dass ein paar einzelne Unternehmen lebensrettende medizinische Produkte monopolisieren, um Gewinne zu erzielen.

Menschenleben müssen vor Profiten stehen.

Der TRIPS-Rat der Welthandelsorganisation, wobei TRIPS für „Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums“ steht, wird den Vorschlag am 20. November 2020 und 10. Dezember diskutieren und am 17. Dezember final darüber entscheiden. Wir fordern alle Regierungen auf, diesen wegweisenden Schritt Indiens und Südafrikas zu unterstützen, um sicherzustellen, dass Profitinteressen der Eindämmung der globalen Pandemie nicht im Weg stehen.

Die Covid-19-Pandemie ist erst dann vorbei, wenn sie für alle vorbei ist.

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Noch Fragen? Möglicherweise findet sich die Antwort in unseren FAQ zum Trips Waiver.

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* Dr. Dzintars Gotham, Chris Redd, Morten Thaysen, Tabitha Ha, Heidi Chow und Katy Athersuch (2017): "Pills and Profits: How drug companies make a killing out of public research", publiziert von The Grayston Centre, London.

**Diese Behandlung mit Remdesivir, das gerade hauptsächlich im Rahmen von klinischen Studien verabreicht wird, erfolgt über 10 Tage hinweg, wobei am ersten Tag 200 mg und 100 mg an den folgenden Tagen verabreicht werden.