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Eine andere Welt ist möglich

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Elisabeth Massute

Elisabeth Massute

Ich arbeite in der politischen Abteilung von Ärzte ohne Grenzen und bin Expertin für den gerechten Zugang zu Medikamenten.

2020 war ein Jahr wie kein anderes. Es brachte die größten Herausforderungen im Bereich der globalen Gesundheit seit Jahrzehnten mit sich. Die Covid-19-Pandemie wird in vielen Ländern, in denen wir arbeiten, gravierende Konsequenzen haben, die weit über aktuelle Erkrankungen an dem neuen Virus und die zu beklagenden Verluste hinausgehen. 

Wir sehen in unserer Arbeit, dass das Coronavirus gerade in ärmeren Ländern verheerende Folgen hat: Lockdown bedeutet für viele, nicht arbeiten gehen zu können und kein Einkommen bedeutet kein Essen. Wichtige Impfkampagnen für Kleinkinder, zum Beispiel gegen Masern oder Polio, können nicht wie gewohnt stattfinden. Diagnosen und Behandlungen schwerer Krankheiten, wie Tuberkulose oder HIV/Aids, sind nur eingeschränkt verfügbar. Gerade im Hinblick auf Tuberkulose – vor Covid-19 die ansteckendste Infektionskrankheit weltweit – ist das fatal.  

Wir befürchten, dass Fortschritte, die wir in den letzten Jahren mühevoll erarbeitet haben, durch die aktuelle Situation zunichtegemacht werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt außerdem vor einer Hungersnot. Daraus ergeben sich Dominoeffekte, deren Ausmaß wir noch nicht vollends absehen können.   

Medikamente dürfen kein Luxus sein

Ein Mediziner aus Hamburg sagte neulich in einem Interview, dass es sehr schwierig sei, Covid-19-Patient*innen zu behandeln, das Leiden zu sehen und zu wissen, dass es da einen Impfstoff gibt, dieser aber (noch) nicht verfügbar ist.  

Es ist genau dieses Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins, das meine Kolleg*innen in den Ländern, in denen wir arbeiten, empfinden und bezeugen. 

Menschen leiden an Krankheiten, für die es eigentlich längst Medikamente und Therapien gibt, weil sie aber zu teuer sind bleiben sie für die allermeisten unerreichbar. Auch die Covid-19-Impfstoffe müssen schnell allen Menschen zugänglich gemacht werden. Damit nicht nur wir im Globalen Norden, sondern weltweit sich die Menschen vor dem Virus schützen können. 

Wir werden weiterhin einen Wandel fordern: Menschenleben vor Profit!

Wir bei Ärzte ohne Grenzen glauben, dass eine andere Welt möglich ist - eine Welt, in der Medikamente kein Luxus sind. Deshalb wünschen wir uns für dieses neue Jahr – und darüber hinaus: 

1 … dass die Früchte wissenschaftlicher Arbeit geteilt werden.

Fast zwei Milliarden Menschen weltweit haben keinen Zugang zu den Medikamenten, die sie brauchen, um gesund zu bleiben. Geistige Eigentumsrechte, die auch Geschäftsgeheimnisse, gewerbliche Muster und Modelle sowie den Schutz des Urheberrechts umfassen, ermöglichen es Firmen, den Markt zu kontrollieren. Wichtige Tests und Medikamente werden künstlich verknappt und Preise werden willkürlich bestimmt. Das Recht auf Gesundheit gilt global, mit dem aktuellen globalen Gesundheits- und Forschungssystem scheint das aber letztlich nicht vereinbar zu sein. Deshalb plädieren wir dafür, das System zu verändern, die Früchte wissenschaftlicher Arbeit zu teilen und lebenswichtige Arzneimittel zum öffentlichen Gut zu erklären. Die Forschung sollte sich an den medizinischen Bedürfnissen der Menschen orientieren.  

2 … dass Wissen zugunsten der Allgemeinheit geteilt wird.

Pharmakonzerne und Institutionen erlauben anderen in der Regel nicht, ihre Daten und ihr Know-how zu nutzen. So werden Möglichkeiten und Ressourcen verschwendet, weil viele Entwicklungen doppelt stattfinden.  

Ein tolles Beispiel für eine gelungene internationale Zusammenarbeit fand direkt zu Beginn der Corona-Pandemie statt: Die Genom-Sequenz von SARS-Cov2, also die Informationen über die Zusammensetzung des Erbgutes des Virus, wurde bereits im Januar entschlüsselt und mit der weltweiten Wissenschaftsgemeinschaft geteilt. Nur so konnten schnell Tests entwickelt werden, die das Virus verlässlich nachweisen können. 

3 … dass die Entwicklungskosten für Medikamente transparent gemacht werden.

Pharmaunternehmen berufen sich zur Begründung ihrer Preispolitik auf Kosten für Forschung und Entwicklung. Diese Informationen sind aber nicht überprüfbar, da sie nicht offengelegt werden.  

Wir unterstützen die Position vollkommen, dass gute Arbeit angemessen bezahlt werden sollte und natürlich müssen auch Pharmaunternehmen darauf achten, wirtschaftlich zu sein. Es gibt aber einen Unterscheid zwischen Wirtschaftlichkeit und Gewinnmaximierung. Deshalb fordern wir Transparenz! 

4 … dass Bedingungen an Forschungsförderung geknüpft werden.

Jährlich fließen Milliarden öffentlicher und privater Gelder in die Entwicklung neuer Arzneimittel. Schätzungsweise werden in einigen Ländern zwei Drittel der Kosten für die Entwicklung von Arzneimitteln durch öffentliche Gelder finanziert. Die Früchte dieser Investitionen gehören bisher dann aber den Unternehmen, die letztendlich über die Produktion und den Preis frei bestimmen können.   

Warum sollten mit öffentlichen Geldern, inkl. Steuergeldern der Patient*innen, entwickelte Impfstoffe und Medikamente Pharmaunternehmen hohe Profite ermöglichen, die gleichzeitig Menschen weltweit den Zugang versperren? Deshalb wünschen wir uns, dass an öffentliche Investitionen in Forschung und Entwicklung effektive Bedingungen geknüpft werden, etwa Bezahlbarkeit und ein gerechter Zugang. 

5 … dass zusammengearbeitet wird, um Probleme zu lösen.

Entscheidungen über die Gesundheit der Menschen weltweit werden im Moment überwiegend von einer kleinen Gruppe Menschen in den wohlhabenden Ländern getroffen. Dadurch werden aber viele Aspekte und Perspektiven nicht bedacht und Potentiale bleiben ungenutzt. Wir brauchen eine Welt, in der alle Menschen an diesen Entscheidungen beteiligt sind. Gerade für den Gesundheitsbereich brauchen wir ein Umdenken: weg von nationalen Alleingängen und hin zu globaler Solidarität – in der derzeitigen Pandemie und darüber hinaus!