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Migration: Menschen schützen, statt auslagern

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Porträt Felix Braunsdorf

Felix Braunsdorf

Ich bin Experte für Flucht und Migration und arbeite in der politischen Abteilung von Ärzte ohne Grenzen.

Die Debatte um Migration in Deutschland und Europa driftet in immer neue Tiefen ab. Entgegen der klaren Haltung von mehr als zwanzig Sachverständigen in einer Anhörung im Bundesinnenministerium haben die Bundesländer im Juni beschlossen, die Idee, Asylsuchende in Drittstaaten auszulagern, weiter zu verfolgt. Der Sonderbeauftragte für Migrationsabkommen der Bundesregierung Joachim Stamp schlug kürzlich sogar vor, den gescheiterten Ruanda-Deal Großbritanniens zu übernehmen, und die CDU lässt verlauten, man solle sich am Italien-Albanien-Deal ein Beispiel nehmen. Vernunftbasierte Migrationspolitik sieht anders aus. 

Verantwortung wird weitergereicht

Seit Jahren versuchen die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedsstaaten mit schmutzigen Deals, die Grenzsicherung in Staaten außerhalb Europas zu verschieben und Geflüchtete dort festzuhalten. Mehr und mehr Geld fließt in Projekte und an Akteure, die an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind oder bei denen der Verdacht im Raum steht, dass sie an Menschenschmuggel und Menschenhandel verdienen. In Libyen sind Migrant*innen Verschleppung, Folter und Sklaverei ausgesetzt, wenn sie von der libyschen Küstenwache auf dem Mittelmeer aufgegriffen und zurück nach Libyen verschleppt werden – unterstützt von der EU.   

Den Verantwortlichen in der EU ist das bekannt. Erst kürzlich bescheinigte der Europäische Rechnungshof der EU eine katastrophale Bilanz beim Einsatz von Steuergeldern. Doch anstatt Konsequenzen zu ziehen, soll die Zusammenarbeit mit diesen Akteuren vertieft werden - denn sie ist Teil einer Abschreckungspolitik.  

Die Logik dieser Politik ist, mit Gewalt abzuschrecken und Menschen auf der Flucht so von Europa fernzuhalten. Diese Politik fördert nicht nur fragwürdige Akteure, sondern kann langfristig Konfliktdynamiken anheizen, was wiederum Flucht auslösen kann. Aber vor allem kostet sie jeden Tag Menschenleben, da Menschen immer gefährlichere Fluchtrouten nehmen müssen.  

Aktuell im Gespräch: Eine neue Eskalationsstufe der Abschreckungslogik 

Aus Sicht einiger Politiker*innen wirkt die Abschreckung noch nicht genug. Daher setzen sie auf die nächste Eskalationsstufe: Die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten.  

Menschen, die es nach zum Teil langer Flucht nach Europa geschafft haben und hier Schutz suchen, sollen in ein möglichst weit entferntes Land außerhalb der EU gebracht werden. Dort müssten sie entweder ein Asylverfahren nach dortigem Recht durchlaufen und auch dort bleiben. Oder sie müssen ein Verfahren nach europäischem Recht durchlaufen - bei Erfolg dürften sie in die EU zurückkehren. 

Völker- und EU-Recht sehen derartige Maßnahmen nicht vor – kein Grund für die Befürworter es nicht dennoch zu versuchen. Notfalls könne man das EU-Asylrecht ändern, erklärte die Gruppe der EU-Länder, die diesen Ansatz vorantreibt, in einem Schreiben an die EU-Kommission. Und das, obwohl nach acht Jahren zäher Verhandlungen gerade erst die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems verabschiedet wurde, die den Zugang zu Schutz in Europa bereits stark einschränkt. 

Die praktischen Probleme der Auslagerung sind nicht von der Hand zu weisen 

Die Idee, Asylverfahren auszulagern, ist nicht neu. Und anders als es immer wieder verkauft wird, ist die abschreckende Wirkung dieses Modells nicht hinreichend beleg. Und die Beispiele aus der Praxis sind gescheitert (Australien, Großbritannien, Türkei).  Zum einen, weil sie gegen nationales und internationales Recht verstoßen, zum anderen aber auch, weil sich kaum Drittstaaten finden, die sich auf die Vertragsbedingungen einlassen wollen - und wenn, dann nur gegen erhebliche finanzielle und politische Gegenleistungen. Eine Vertiefung der Abhängigkeit wäre die Folge.  

Auch die Kosten sind enorm. So hat der gescheiterte Ruanda-Deal die britischen Steuerzahler*innen bereits jetzt mehr als 830 Millionen Euro gekostet. Wäre er umgesetzt worden, hätten mehr als 1 Mrd. Euro aufgewandt werden müssen. Für Italiens aktuellen Albanien-Deal sind Ausgaben von knapp 670 Millionen Euro für fünf Jahre geplant, wobei noch weitere Kosten für Richter*innen, Sicherheitspersonal und Ärzt*innen anfallen werden. 

Wie geht es Ihnen bei der Vorstellung, nichts anderes tun zu können, als zu warten? 

Viel schwerer aber wiegt der menschliche Schaden, den Auslagerungsmodelle bei den Betroffenen anrichten. Viele fliehen vor brutaler Gewalt, um dann in gefängnisähnlichen Verhältnissen zu landen, ohne Perspektive, ohne zu wissen, wie, wann, ob es weitergeht.  

2001 begann Australien Asylsuchende, die auf dem Seeweg das Land erreicht hatten, auf die Pazifikinseln von Papua-Neuguinea und Nauru zu bringen. Dort wurden die Menschen zeitlich unbegrenzt unter menschenunwürdigen Bedingungen eingesperrt. Die psychischen Folgen waren massiv. Unsere Teams leisteten auf Nauru psychologische Hilfe:  60 % der Patient*innen hatten Selbstmordgedanken, 30 % hatten einen Selbstmordversuch unternommen.  

Europa nimmt bei Weitem nicht die meisten Geflüchteten auf 

Sollten europäische Staaten die Auslagerungspläne weiterverfolgen, würden sie nicht nur der Glaubwürdigkeit der EU, sondern auch dem Flüchtlingsregime auf internationaler Ebene enormen Schaden zufügen.  

Denn drei Viertel der Flüchtlinge weltweit leben in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Wenn die westlichen Staaten ihre Verantwortung auslagern, warum sollten dann Länder, die wirtschaftlich viel schlechter gestellt sind, weiterhin Geflüchtete aufnehmen und diese versorgen?  

Ein Beispiel: Im Tschad, einem der ärmsten Länder der Welt mit 18 Millionen Einwohnern, haben mehr als 600.000 Menschen Zuflucht gefunden, die aus dem benachbarten Bürgerkriegsland Sudan geflohen sind. Doch die Weltgemeinschaft schafft es nicht, genug Hilfe für die geflüchteten Menschen zu mobilisieren. Eine Hungerkatastrophe und der Tod von Hunderttausenden drohen. Filippo Grandi, der UN-Flüchtlingskommissar, warnte bereits 2021 vor einer Abwärtsspirale im internationalen Flüchtlingsschutz und stellte die berechtigte Frage:  

„Wie soll ich Länder wie den Libanon, Uganda oder Bangladesch, die bereits Millionen Geflüchtet aufgenommen haben, weiterhin zur Einhaltung ihrer internationalen Verpflichtungen auffordern, während sich Europa mit neuen Grenzzäunen, Push-backs und Auslagerungsabkommen aus der Verantwortung zieht?“ 

Wofür will Europa stehen? 

Die Auslagerung von Asylverfahren ist keine pragmatische Lösung, sondern „more of the same“. Auf europäischer Ebene werden immer brutalere Maßnahmen und Mittel gegen Schutzsuchende salonfähig gemacht. 

Damit wird nicht nur die Gesundheit und Würde von Menschen gefährdet. Diese Praktik der Entmenschlichung hat unweigerlich auch Auswirkungen auf die Bevölkerungen in Europa.  "

Um diesen Kurs zu stoppen, braucht es ein Umdenken hin zu einer evidenzbasierten Politik, die Schutzsuchende nicht fortwährend als Bedrohung darstellt. Die Obsession, irreguläre Migration zu reduzieren, verstellt den Blick auf die Fluchtursachen wie Kriege und Konflikte - diese zu bearbeiten, darauf muss sich der Fokus richten.  

Zudem müssen migrationspolitische Kooperationen mit Drittstaaten kritisch hinterfragt und gegebenenfalls ausgesetzt werden, wenn das Risiko von Menschenrechtsverletzungen nicht minimiert werden kann. Die Europäische Kommission spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Sie muss sicherstellen, dass EU- und internationales Recht konsequent eingehalten werden und menschenrechtswidrige Praktiken an den Außengrenzen Europas aufhören. Nur so kann die EU ihre Glaubwürdigkeit als Verteidigerin der Menschenrechte wiederherstellen und den Weg für eine humane und nachhaltige Migrationspolitik ebnen.