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Der Pandemievertrag muss globale Gesundheit gerecht regeln!

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Melissa Scharwey

Melissa Scharwey

Ich arbeite in der politischen Abteilung von Ärzte ohne Grenzen und bin Expertin für den Zugang zu Medikamenten und globale Gesundheitspolitik.

Spätestens seit der Covid-19-Pandemie wissen wir: der Zugang zu medizinischen Gütern ist global sehr ungleich gestaltet. Unsere Teams weltweit haben das hautnah mitbekommen: In Indien oder Malawi starben Menschen, weil es nicht genug Sauerstoff gab. In Südafrika mussten Patient*innen ohne Schutzkleidung versorgt werden, weil Material fehlte. Als die ersten Medikamente zugelassen wurden, kam Hoffnung auf. Doch diese waren so teuer, dass nur die wenigsten sie sich leisten konnten. Ähnlich lief es mit dem Impfstoff: Während die meisten Menschen zum Beispiel in Deutschland schon die dritte Impfung erhalten hatten, waren Menschen in anderen Ländern noch nicht ein einziges Mal immunisiert.  

Deshalb verhandeln die Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aktuell ein Abkommen zur Pandemieprävention, -vorsorge, und -bekämpfung: den Pandemievertrag. Ziel ist es, ein rechtsverbindliches Instrument zu schaffen, um Pandemien besser vorzubeugen und bei Ausbruch einer neuen Pandemie als Weltgemeinschaft schnell, kohärent und bedarfsgerecht reagieren zu können. Der Vertrag ist außerdem eine Möglichkeit, globale Gesundheit nach Bedarfen und nicht nach Profitaussichten für Pharmafirmen zu gestalten. 

Echter Wandel statt Wohltätigkeit! 

Knackpunkte in den Verhandlungen sind vor allem die Bestimmungen, die gerechten Zugang [1] zu und die Verteilung von medizinischen Gütern wie Diagnostika, Medikamenten, Impfstoffen oder auch Sauerstoff regeln sollen. Werden beim nächsten Mal das Wissen und die Technologie geteilt, die zum Beispiel für die Produktion von Tests, Impfstoffen und Medikamenten benötigt wird? Oder wird wieder zugelassen, dass Pharmafirmen auf ihre Patente bestehen und zum Beispiel Impfstoffe nur selbst produzieren und verkaufen können. 

Mit dem Wohlfahrts-Model, das die Macht bei den Mächtigen belässt und den Großteil der Länder einigen wenigen ausliefert, scheinen sich die Länder mit mittlerem und niedrigem Einkommen aber nicht mehr zufrieden zu geben. In den Verhandlungen werden klare Forderungen gestellt, sei es von der Gruppe der afrikanischen Länder oder der Equity Group [2]. Zum Beispiel, dass Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen und geeigneten Kapazitäten selbst in die Herstellung einsteigen und damit ihre Region bedarfsgerecht versorgen können.  

Doch die Industriestaaten sträuben sich - Deutschland allen voran. Die begründeten Forderungen werden von den deutschen Vertreter*innen als “lange Wunschliste” vermerkt. 

Gute Intentionen reichen nicht, was zählt sind Handlungen!  

In der WHO verhandelt die Europäische Kommission im Namen aller Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU). Bekleckert sich aber bisher nicht mit Ruhm.  

Ursprünglichen Aussagen von EU-Vertreter*innen zufolge soll der Pandemievertrag international für mehr Transparenz, Solidarität und gemeinsame Verantwortung sorgen. Auch das Europäische Parlament hat letzte Woche progressive Empfehlungen für die Verhandlungen zum Pandemievertrag gegeben.   

Die EU Kommission bracht jedoch kürzlich ein Papier mit eigenen Vorschlägen in die Verhandlungen ein. Damit verkompliziert sie nicht nur einen ohnehin schon komplexen Prozess, ihre Vorschläge entsprechen auch mit Nichten ihren ursprünglichen Intentionen: Beispielsweise soll der Technologietransfer – eine der Grundvoraussetzungen für eine effektive Vorsorge und gerechte Verteilung von medizinischen Gütern – auf Freiwilligkeit beruhen.  

Deutschland hat in der EU eine große Entscheidungsmacht. Daher hat die Bundesregierung hier ganz konkret die Verantwortung und Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass die proklamierte Solidarität der EU auch in den Verhandlungen umgesetzt wird.   

Deutschland muss innerhalb der EU Position beziehen 

Aus humanitärer Perspektive ist klar: Der Kern des WHO-Vertrags muss globale Gesundheits- und Gerechtigkeitsfragen regeln, nicht Industrieinteressen schützen.  

Es braucht aber klare Verpflichtungen, um den gerechten Zugang zu medizinischen Gegenmaßnahmen im Pandemiefall zu gewährleisten. Freiwillige Maßnahmen reichen nicht aus – das hat sich in der Covid-19 Pandemie gezeigt.  

Unter anderem sollte die Bundesregierung sich in der EU dafür einsetzen, dass in den Verhandlungen zum Pandemievertrag: 

  • Grundwerte wie Menschenrechte und das Solidaritätsprinzip als Leitlinien dienen und konsequent umgesetzt werden. 
  • Verbindliche Regeln zum Teilen von Daten und Technologien geschaffen werden, sodass qualifizierte Hersteller in die Produktion der medizinischen Gegenmaßnahmen einsteigen können. 
  • Regierungen, die Daten zu Krankheitserregern teilen, für diese erstrebenswerte Kooperation belohnt werden. 
  • Im Pandemiefall eine temporäre Aussetzung geistiger Eigentumsrechte (u.a. Patente) ermöglicht und vereinfacht wird, um die künstliche Verknappung durch die Monopolstellung einzelner Konzerne  zu unterbinden. 
  • Staatliche Investitionen in Forschung und Entwicklung an Bedingungen für gerechten Zugang geknüpft werden. 

[1] Gerechter Zugang beinhaltet: ein fairer, gerechter und rechtzeitiger Zugang zu erschwinglichen, sicheren und wirk­samen Produkten zur Pandemiebekämp­fung zwischen und innerhalb von Ländern, auch zwischen Bevölkerungsgruppen, un­abhängig von ihrem sozialen oder wirtschaftlichen Status. 

[2]: Equity-Group: Ein Zusammenschluss von über 19 Ländern, darunter Bangladesch, Botswana, Brasilien, Kolumbien, Indien, Indonesien, Kenia, Malaysia, Mexiko, Pakistan, Peru, Philippinen, Südafrika, Tansania. 

Pandemievorsorge

Pandemien können Millionen Menschenleben fordern und Gesundheitssysteme überwältigen. Deshalb ist es notwendig, länderübergreifend Regeln zu entwerfen, die in der nächsten Pandemie die Zusammenarbeit garantieren und Leben retten.